Nichts mehr zu holen für die Gerichtsvollzieher

Eddie Howe 2015 bei der Premier-League-Aufstiegsfeier des AFC Bournemouth
© getty

Als Eddie Howe 2009 Trainer des AFC Borunemouth wurde, obwohl er eigentlich gar nicht wollte, lag der Verein am Boden. Gerichtsvollzieher gingen am Vereinsgelände ein und aus wie Spieler, dem Klub wurden 17 Punkte abgezogen. Howe richtete den Verein auf und führte ihn von der vierten Liga in die Premier League. Nun wird er sowohl als künftiger englischer Nationaltrainer, als auch als Nachfolger von Arsene Wenger beim FC Arsenal gehandelt. Die sagenhafte Erfolgsgeschichte eines Besessenen.

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Mit dem Logo verzierte Thermoskannen oder rot-schwarzer Weihnachtsschmuck? Plüschversionen des vereinseigenen Maskottchens Cherry Bear vielleicht oder einfach ganz klassisch: Heimtrikots? Eddie Howe weiß nicht mehr genau, was die Gerichtsvollzieher damals, im Januar 2009, alles mitnahmen, als sie sich mal wieder im Fanshop des AFC Bournemouth bedienten. War letztlich auch egal, irgendwann war wohl eh alles weg. "Ich würde nicht sagen, dass sie täglich kamen", erinnerte sich Howe gegenüber dem Guardian, "aber einmal wöchentlich schon."

Gerichtsvollzieher, die den vereinseigenen Fanshop leer räumen. Viel tiefer kann ein Klub eigentlich nicht sinken. Doch! Ein bisschen tiefer ging es noch: 17 Zähler wurden Bournemouth in der Tabelle wegen der verheerenden wirtschaftlichen Situation abgezogen. Finanziell standen die Cherries also kurz vor dem absoluten Ruin und sportlich hatten sie ihn eigentlich schon längst erreicht. 23. war Bournemouth in der viertklassigen League Two. 72 Profivereine gibt es in England, Bournemouth rangierte auf Platz 71.

Und dann kam der 31-jährige Eddie Howe. Ein Reservecoach mit blonden Haaren und ohne jegliche Erfahrung als Profitrainer, der seine Karriere als Abwehrspieler einst wegen einer Knieverletzung hatte beenden müssen.

Auch der 38-jährige Eddie Howe arbeitet für den AFC Bournemouth. Blonde Haare hat er immer noch, ansonsten hat sich aber einiges verändert. Ein hochangesehener Coach ist Howe mittlerweile, Kandidat auf den Posten des englischen Nationaltrainers und 2015 zum Manager des Jahrzehnts der Football League, der drei Ligen unter der Premier League also, gekürt.

Verteidigen wird er diesen Titel wohl nicht können. Sein Verein Bournemouth spielt nicht mehr in der Football League, er spielt mittlerweile in der Premier League.

Überwindung statt Überzeugung

FC Chelsea und Manchester United heißen Bournemouths alltägliche Gegner jetzt, Howes erste Herausforderungen trugen aber die Namen FC Darlington und Rotherham United. 1:2, 0:1. Zwei Spiele, zwei Pleiten, der erste Nichtabstiegsplatz war acht Punkte entfernt, der Fall in den Amateurfußball eher traurige Bestimmung als Schreckensvision. "Ich wollte nicht derjenige sein, der den Abstieg zu verantworten hat", sagte Howe später. Als ihm nach den beiden erfolgslosen Spielen als Interimstrainer trotzdem die Beförderung zum Chef angeboten wurde, dachte Howe nur: "No, please!" Gesagt hat er aber: "Yes, please!"

Im Nachhinein betrachtet nicht die schlechteste Entscheidung, doch damals war die Zusage mehr Überwindung als Überzeugung. Howe sah seine Berufung eher in der Arbeit mit jungen Spielern. Täglich auf dem Rasen stehen, mit Spielern reden und trainieren, das genoss Howe.

Ein richtiger Manager wollte er eigentlich nie werden. Zu wenig Beschäftigung mit dem Fußball selbst und zu viel Bürokram irgendwie. Zumindest von einer dieser administrativen, dieser ablenkenden Aufgaben eines Managers wurde Howe nach wenigen Monaten und dem fast wundersamen Klassenerhalt bald entbunden: Transfers tätigen. Es wäre aber nicht so gewesen, als dass man Howe dieses Aufgabengebiet nicht zugetraut hätte. Nein, Bournemouth durfte einfach nicht mehr einkaufen. Die Cherries wurden mit einer einjährigen Transfersperre belegt.

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Schicksalsschlag als Augenöffner

Howe startete also mit derselben Mannschaft in die neue Saison, mit der er in der vergangenen beinahe abgestiegen wäre. Bournemouth landete im Endklassement auf Rang zwei und stieg auf. Es dauerte keine weitere Saison, ehe Howe erneut aufgestiegen war, seinen Verein ließ er dafür aber erstmal zurück. Mitten in der Saison 2010/11 sicherte sich der damalige Zweitligist FC Burnley die Dienste des aufstrebenden Trainers.

Damit die magische Geschichte, die Howe mit Bournemouth noch schreiben sollte, überhaupt geschrieben werden konnte, brauchte es dann einen tragischen Schicksalsschlag. Im Herbst 2012 starb Howes Mutter plötzlich und unerwartet. "Das hat meine Sicht auf viele Dinge komplett geändert", sagte Howe später dem Daily Echo, "auf mein Leben, meine Karriere, eigentlich auf alles." Howe kehrte zurück nach Bournemouth und nahm Anlauf. Anlauf Richtung Premier League.

Spannend, dieser Transfermarkt

Die finanzielle Lage seines Vereins hatte sich mittlerweile entspannt. Allwöchentliche Besuche der Gerichtsvollzieher gab es keine mehr, die Ausstattung des Fanshops war demzufolge üppig wie selten zuvor und Bournemouth durfte sich sogar auf dem Transfermarkt betätigen. Besser ging es ja kaum.

Mitgrund für diese Entspannung war die Übernahme des Klubs durch den russischen Geschäftsmann Maxim Demin im Jahr 2011. Viel weiß man nicht über ihn, Demin hält sich im Hintergrund und sichert eine stabile finanzielle Basis. "Es ist spannend in der Lage zu sein, in die Mannschaft investieren zu dürfen", sagte Howe dem Guardian damals. Spannend, dieser Transfermarkt.

Gleich in der Saison der Rückkehr aus Burnley bewies Howe, dass er die Arbeit auf dem grünen Rasen ganz gut mit den nun vielschichtigeren Aufgaben abseits des Platzes kombinieren kann. Beim Aufstieg in die dritte Liga konnte sich Howe ob der Transfersperre noch ganz aufs Training konzentrieren, jetzt hieß es: Multitasking. Konnte Howe natürlich auch. 2013 stieg er mit Bournemouth in die Championship auf, 2015 in die Premier League.

Vier aktuelle Stammspieler machten die ganze Reise mit. Die Verteidiger Charlie Daniels, Steve Cook und Simon Francis, sowie der Mittelfeldmann Harry Arter kickten einst unter Howe in der dritten Liga und sind nun eben Stammspieler in der Premier League. Gelebte Kontinuität.

Lebenserfüllende Tätigkeit

Mit dem Aufstieg 2015 erklomm der AFC Bournemouth erstmals in seiner Vereinsgeschichte die oberste Sprosse des englischen Ligensystems. Dass sich die Cherries in der folgenden Saison dort halten konnten, ist eine durchaus beachtliche Leistung, denkt man an all die Schulterklopfer, die auf Kletterführer Howe einprasselten und ihn hätten zu Fall bringen können. "Er ist der beste Manager, mit dem ich je gearbeitet habe", sagte sein Ex-Spieler Kenwyne Jones. Pep Guardiola bezeichnete Howes Team nach dem Aufeinandertreffen als "das beste, auf das er bisher mit Manchester City getroffen ist" und Jack Wilshere nannte ihn schlicht den "perfekten Coach".

Perfekt ist jedenfalls sein Arbeitseifer. Um 6.30 Uhr ist Howe jeden Tag am Vereinsgelände. Dann könne er Dinge regeln, ohne dabei abgelenkt zu werden, wie er mal erzählte. Mit jeder Liga, die Howe erklomm, stieg aber der Arbeitsaufwand. Howe musste lernen zu delegieren.

Egal wie viel er aber auch delegiert, seine Tätigkeit als Bournemouth-Trainer bleibt trotzdem lebenserfüllend. Die Türschwelle zum eigenen Haus ist ebenso wenig Übertritt in einen Luxus namens "Freizeit" wie das Flugzeug in den Urlaub nach Amerika. Egal wann, egal wo: Das Handy klebt stets an Howes Ohr. "Es hört sich wie eine Sucht an", sagte Howe dem Telegraph. Wie recht er damit hat.

Eddieshares

Womöglich tut sich für Howe früher oder später aber eine reizvolle Möglichkeit zum Entzug auf. Schon nach dem Abgang von Roy Hodgson wurde Howe als neuer englischer Nationaltrainer gehandelt, jetzt nach dem von Sam Allardyce erneut. Noch ist nicht abschließend geklärt, ob Gareth Southgate als permanente Lösung installiert wird. Der "ultimative Job" sei der Trainerposten bei den Three Lions laut Howe jedenfalls, er sei außerdem "sehr patriotisch" und eigentlich könne er da nicht absagen. Sofern er denn tatsächlich gefragt wird.

Sollte es die FA irgendwann ernst meinen, Howe würde wohl zusagen und die Fußballwelt damit vor eine große Frage stellen: Wie viel Geld müssen die Bournemouth-Fans diesmal sammeln, um ihre Vereins-Legende zurück in die Heimat zu holen? Denn einen weiteren Schicksalsschlag, wie den Tod seiner Mutter, der ihn 2012 zu einer Rückkehr nach Bournemouth animierte, wünscht ihm natürlich keiner mehr.

2002 verließ Eddie Howe, damals noch Verteidiger, schon einmal Bournemouth und wechselte zum FC Portsmouth. 2004 wurde die Sehnsucht der Fans dann einfach zu groß. Mit der Fundraisingaktion "Eddieshare" sammelten die Fans innerhalb einer Woche 21.000 Pfund und finanzierten so die Rückkehr ihres Idols.

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