Da hätten wir William Gallas, um gleich mal mit einer Premium-Geschichte zu beginnen. Der Franzose war zwischen 2001 und 2006 beim FC Chelsea auf und neben dem Platz eine herausragende Figur. 2006 wollte er allerdings zum FC Arsenal wechseln, was Chelsea und seinem damaligen Trainer Jose Mourinho nicht gefiel. Gallas wurde die Freigabe verweigert.
Was dann geschah, klingt wie ein schlechter Film: Chelsea verkündete offiziell, dass Gallas damit drohe, ein Eigentor zu schießen, die Rote Karte zu sehen oder absichtliche Fehler zu machen, wenn er bis zum Saisonstart nicht gehen dürfe.
Chelsea demontierte seinen Spieler öffentlich und die 225 teils überragenden Einsätze im blauen Trikot waren vergessen. Gallas durfte schließlich gehen und bei Arsenal groß abkassieren.
Bei Chelsea spielte auch Khalid Boulahrouz, nicht besonders oft und auch erst mit Anlauf. Der Niederländer wollte den HSV verlassen, die Hanseaten wollten ihn zu den gebotenen Konditionen nicht abgeben. Vor dem Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Osasuna simulierte Boulahrouz beim Aufwärmen eine Verletzung, um seine internationale Spielberechtigung für Chelsea nicht zu verlieren. Die Fanwut war riesig, Boulahrouz war es egal - er durfte gehen.
Die Vertragslaufzeit ist nur noch eine Formalie
Mit Krach verließ auch Rafael van der Vaart einst den HSV - und das nach vielen erfolgreichen Jahren. Als ihn die Hamburger nicht ziehen lassen wollten, ließ er sich mit dem Trikot des interessierten FC Valencia ablichten. Wieder große Aufruhr, diesmal setzte sich der Klub durch. Zunächst. Ein Jahr später wechselte van der Vaart zu Real Madrid, glücklich wurde er nicht.
Die Liste der streikenden Fußballprofis lässt sich unendlich weitererzählen. An Dreistigkeit oft nicht zu überbieten, suchen viele Spieler Möglichkeiten, um aus ihren Verträgen zu kommen, weil woanders ein lukrativerer Vertrag winkt. Ihnen ist egal, ob sie viel für den Verein geleistet haben, ob sie beliebt sind oder ob sie einen Scherbenhaufen hinterlassen. Sie streiken - und setzen sich durch. Aus gutem Grund: Die Fußballer haben längst die Macht übernommen.
Am Ende sitzen sie fast immer am längeren Hebel, obwohl ihre Vereine eigentlich gültige Verträge mit ihnen haben. Aber das Papierwerk ist wohl nur noch dazu da, um aufzuschreiben, wie viel die Spieler verdienen - der Punkt "Vertragslaufzeit" ist lediglich eine Formalie.
So auch bei Cristiano Ronaldo, dem es gar nicht in erster Linie ums Geld gehen dürfte, sondern um die Chance, in der Champions League zu spielen. Weil Manchester United - was eine Frechheit - ihn halten will, schmollte und streikte Ronaldo.
Was, wenn ein Klub die Freigabe verweigert?
Nicht selten beginnt dieser Streit ungefähr ein Jahr vor Vertragsende, von daher hat die Laufzeit dann doch eine Bedeutung. Die Ansage lautet wie immer: "Entweder lasst ihr mich jetzt gehen oder ich bin in einem Jahr ablösefrei weg und ihr habt gar nichts mehr von mir." Lehnt ein Verein einen Wechsel dennoch ab, gibt es verschiedene Szenarien:
- Ideales Szenario: Man lehnt ab, der Spieler gibt klein bei - alles gut.
- Riskantes Szenario: Man lehnt ab, der Spieler ist unzufrieden und seine Leistung geht nach unten.
- Krawallszenario: Man lehnt ab, der Spieler streikt und provoziert eine andere Lösung.
- Standhaftes Szenario: Man lehnt ab, der Spieler streikt, man lässt sich nicht provozieren und nimmt in Kauf, den Spieler ablösefrei zu verlieren.
Doch viele Vereine müssen sich eingestehen, dass ein standhaftes Verhalten kaum noch möglich ist. Gerade seit der Pandemie, in denen viele Einnahmen lange merklich nachgelassen und der Markt sich verändert hat, sind Ablösezahlungen immens wichtig. So kann sich weder der VfB Stuttgart leisten, Sasa Kalajdzic zu halten, obwohl man sich mehr Ablöse erhofft hatte, noch der FC Bayern bei Robert Lewandowski. Das vielzitierte "Basta" von Oliver Kahn wurde einkassiert.
FC Bayern und Pini Zahavi: Ziemlich beste Freunde
Es mag zu drastisch formuliert sein, dass die Klubs inzwischen zur Marionette der Spieler geworden sind, aber sieht man sich das Gesamtbild an, kommt man an der Vorstellung nicht vorbei. Eine (ge-)wichtige Rolle spielen die Spielerberater, die ihren Klienten das Drehbuch vorlegen, um zu ihrem Ziel zu kommen. Sie werden dafür sogar eigens engagiert.
Dass Robert Lewandowski sein langjähriges Beraterteam gegen Pini Zahavi eintauschte, war an den FC Bayern ein klares Zeichen, dass hier nicht bald gemütliche Vertragsgespräche bevorstehen - und so kam es auch. Zahavi legte Lewandowski wohl eine To-Do-Liste vor, wie er sich von seinem Klub wegekeln kann und Lewandowski arbeitete die Liste mit Bravour ab. Natürlich drohte er mit Streik, natürlich wandte er sich emotional ab, legte eine Lustlosigkeit im Training an den Tag - und kam zu seinem Ziel.
Negative Folgen hat das weder für den Spieler noch für Zahavi. Sie werden für ihre Dreistigkeit belohnt. Lewandowski bekam seinen Vier-Jahres-Vertrag beim FC Barcelona, Zahavi die Provision - und eine Versöhnung frei Haus: "Ich habe gar nichts gegen Pini. Der macht seinen Job. Wir haben einen guten Draht zueinander", sagte Bayerns Sportvorstand Hasan Salihamidzic Anfang August im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Dass es in den Wochen und Monaten zuvor kommunikativ ganz anders zuging, man sich gegenseitig der Lüge bezichtigte, öffentliche Bloßstellungen an der Tagesordnung waren, lässt man da mal unter den Tisch fallen. Es wäre auch fatal, wenn der Manager eines der wichtigsten Klubs der Welt mit einem der wichtigsten Vermittler der Welt bricht.
Nachdem der Lewandowski-Deal durch war, sagte Zahavi in der Sport Bild: "Ich hoffe, dass ich mit dem FC Bayern auch in Zukunft eine gute, freundschaftliche Beziehung haben kann." Und: "Ich hoffe, dass ich ihnen Spieler bringen kann - und nicht nur Spieler vom Verein wegbringen werde."
FIFA und Co.: Das Konsumverhalten hat sich verändert
Ihm kann gewiss sein, dass es so kommt, wenn er einen Spieler hat, den der FC Bayern haben will. Und so steigt die Macht der Profis und ihrer Agenten ins Unermessliche, weil sie in der Nahrungskette immer weiter aufrücken. Zumal sich die Fußballwelt daran gewöhnt hat und streikende Profis fast schon normal sind. Gehört halt dazu.
Vereinstreue, Tradition, Loyalität - alles schön und gut, aber gelebt werden diese Werte immer weniger. Das liegt auch am neuen Konsumverhalten im Fußball: Waren früher noch Vereine die größte Institution der Fans, verschiebt es sich mit der neuen Generation zu den Spielern. In diesen Tagen sickern die ersten Informationen durch, wer die stärksten Spieler beim Konsolen-Spiel FIFA23 sind. Die Begeisterung und das Interesse sind immens.
Früher wurde noch darüber geredet, welche Mannschaft stark ist und mit wem man spielen sollte, heute reden sie über sogenannte FUT-Cards, die sie zelebrierend aufdecken, weil ihre Helden auftauchen. Das hat die neue Generation von Fußball-Fans dermaßen geprägt, dass man nicht automatisch zum Fan eines Vereins wird, sondern von Spielern?
Dass 30 Millionen Instagram-Follower mit Messi zu PSG wechseln, zeigt schon, wo man angekommen ist. Dass Kylian Mbappe auf einen der größten Fußballvereine der Welt pfeift und bei PSG bleibt, sorgt bei den älteren Generationen für Häme, aber man möge sich mal die Reaktionen auf die Publikationen des Franzosen in Social Media angucken. Größtenteils ist ihm viel Begeisterung zuteil geworden. Macht ihm PSG in einem Jahr keinen Spaß mehr, werden sie ihn trotzdem lieben, bis sie einem neuen FIFA-Helden die ewige Treue schwören.
Die Vereine spielen das Spiel ohnmächtig mit, weil sie diese Spieler brauchen, um ihre Ziele zu erreichen. Letztlich geht es auch für sie darum, Lösungen zu finden, die großen Geldtöpfe abzugreifen. Dass man beim Scouting das Thema "Vereinstreue" und "Loyalität" als Ausschlusskriterien nutzt, ist abwegig. Denn irgendwann sind sie die nächsten, die einen Spieler haben wollen und dabei zusehen, wie die Berater einen Abschied zu ihren Gunsten choreographieren.