Andries Jonker im Interview: "Louis ist der Richtige für den Job"

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Erstmals waren Sie in der Saison 2002/03 beim FC Barcelona van Gaals Co-Trainer. Wie ist die Zusammenarbeit zustande gekommen?

Jonker: Ich habe Anfang der 1990er Jahre meine Trainerausbildung gemacht und im Zuge dessen 1993 ein Jahr lang bei Ajax unter Louis hospitiert. Laut Ausbildungsvorgabe musste ich einmal pro Woche beim Klub vor Ort sein. Louis meinte aber, dass das bei ihm nur unter Louis-van-Gaal-Bedingungen geht. Das bedeutete, dass ich dreimal in der Woche und bei jedem einzelnen Heimspiel anwesend sein musste. Da habe ich mir gedacht, dass ich auch jeden Tag kommen kann. In jenem Jahr haben wir uns sehr gut kennengelernt. Für mich war es intensiv, weil ich nebenbei auch noch die Kurse im Verband belegen musste.

Können Sie sich an das erste Treffen mit ihm erinnern?

Jonker: Ganz genau sogar. Im alten Ajax-Stadion De Meer gab es ein kleines Vorstandszimmer, in dem die Klub-Mitarbeiter immer gemeinsam Kaffee getrunken haben. Als ich vor Beginn meiner Hospitanz dort war, ist Louis reingekommen und sofort auf mich zugegangen. Er gab mir die Hand und sagte: "Guten Morgen, ich bin Louis van Gaal." Ich antwortete: "Das weiß ich. Ich bin Andries Jonker." Daraufhin meinte er: "Das weiß ich auch." Dann haben wir uns kurz unterhalten und dabei habe ich festgestellt, dass er schon alles über mich und meine Tätigkeiten wusste. Das war ein schönes Gefühl.

Hat er Sie während Ihrer einjährigen Hospitanz aktiv eingebunden?

Jonker: Am Morgen nach jedem Heimspiel hat mich Louis in seine Trainerkabine eingeladen und mich gefragt, was ich über das vorangegangene Spiel denke. Damals gab es noch keine Handys, ich war nach dem Spiel zu spät zu Hause, um die öffentliche Meinung zu hören, und am nächsten Tag zu früh bei ihm, um davor die Zeitung lesen zu können. Ich hatte also keine andere Wahl als genau das zu sagen, was ich denke - positiv oder negativ. So habe ich mir seinen Respekt erarbeitet.

Wie ging es nach dem gemeinsamen Jahr bei Ajax weiter?

Jonker: Als er 2000 Nationaltrainer wurde, hat er mich in den Verband geholt. Gemeinsam haben wir uns ein Konzept für die Entwicklung des holländischen Fußballs ausgedacht. Da ging es nicht nur um die Spitze, sondern um das ganze Land. Ich hatte verschiedene Aufgaben, habe mich zeitweise um die Frauenmannschaft, die U15, die U21 und das Scouting gekümmert. Weil sich die Nationalmannschaft aber nicht für die WM 2002 qualifizierte, verließ Louis den Verband. Ich bin zunächst geblieben. Bei seinem Abschied hat er mir versprochen, dass er mich kontaktiert, sobald er einen neuen Job hat. So ist es auch gekommen, als er Trainer von Barcelona wurde. Mir hat die Arbeit beim Verband zwar Spaß gemacht, Barcelona sagt man aber nicht ab.

Andries Jonkers Karrierestationen

ZeitraumKlubPosition
1997 bis 2000FC VolendamCo-Trainer, dann Cheftrainer
2000 bis 2002Niederländischer Verbandverschiedene Positionen
2002 bis 2003FC BarcelonaCo-Trainer
2004 bis 2006MVV MaastrichtCheftrainer
2006 bis 2009Willem II TilburgCo-Trainer, dann Cheftrainer
2009 bis 2011FC Bayern MünchenCo-Trainer, dann Interimstrainer
2011 bis 2012FC Bayern München IICheftrainer
2012 bis 2014VfL WolfsburgCo-Trainer
2014 bis 2017FC ArsenalNachwuchs-Leiter
2017VfL WolfsburgCheftrainer
seit 2019SC TelstarCheftrainer

Neben den niederländischen Trainern standen bei Barcelona damals auch zahlreiche niederländische Spieler unter Vertrag: Frank De Boer, Michael Reiziger, Philipe Cocu, Marc Overmars, Patrick Kluivert. Gab es eine Grüppchenbildung?

Jonker: Louis hat mir empfohlen, schon vor meiner Ankunft Spanisch-Unterricht zu nehmen. Am ersten Trainingstag habe ich erfahren, warum: Im Kreis der Mannschaft wurde ausschließlich Spanisch gesprochen, kein Wort Englisch und schon gar nicht Holländisch. Es gab damals keine Grüppchenbildung

Wie eng war Ihr Verhältnis zu van Gaal?

Jonker: Louis kümmert sich sehr intensiv um seinen Staff und hilft immer sofort. Schon vor meiner Ankunft hat er eine Schule rausgesucht, an die meine Kinder gehen können. Privat haben wir aber kaum etwas gemeinsam unternommen. Ich würde auch nicht sagen, dass wir Freunde sind oder waren. Aber wenn wir uns treffen, sind wir sofort vertraut.

Andres Iniesta hat während Ihrer Zeit im Klub sein Debüt für Barcelona gefeiert. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Jonker: Ich weiß noch genau, als ich Andres während der Vorbereitung zum ersten Mal gesehen habe. Er war ganz klein und dünn, blass, hatte lange Haare und ist mit einem Plastiksack in die Kabine reinmarschiert. Im ersten Moment habe ich mich gefragt, was dieser kleine Junge da will. Dann sind alle Stars aufgestanden und haben für ihn applaudiert. Ich habe gefragt, was los ist, und sie haben gesagt, dass er mit Spanien die U19-EM gewonnen habe und zum besten Spieler des Turniers gewählt worden sei. Jetzt sollte er bei den Profis mittrainieren. Ich habe ihn mir noch einmal angeschaut und gedacht, dass das niemals funktionieren würde. Das habe ich dann auch zu Louis gesagt. Er war ebenfalls skeptisch, wollte ihm aber eine Chance geben, weil ihn alle für ein Riesentalent gehalten haben. Nach fünf Minuten Passübungen haben Louis und ich uns angeschaut und uns gesagt: Der kann mithalten.

Haben Sie im Laufe Ihrer Trainerkarriere jemals etwas Vergleichbares erlebt?

Jonker: Ja, bei David Alaba. Als er zu den Profis gekommen ist, war er wie Andres 17 Jahre alt. Wir haben ihn auf Empfehlung von Hermann Gerland ins Winter-Trainingslager nach Katar mitgenommen. Beim ersten Trainingsspiel hat er den Ball aus 30 Metern ins Kreuzeck gehämmert. Daraufhin haben ihn alle einige Sekunden lang angeschaut, dann war er akzeptiert. Ein paar Wochen später debütierte er bei einem Champions-League-Spiel gegen die Fiorentina.

Was hat Iniesta und Alaba abgesehen vom fußballerischen Talent ausgezeichnet?

Jonker: Beide waren stabil im Kopf, nie verletzt, nie krank, nie gestresst, immer voll da, immer professionell und ehrgeizig. Alaba kam so oft zu mir und hat gefragt: "Andries, kann ich noch was machen? Können wir noch was machen, damit ich noch besser werde?"