"Wir wissen, dass Bayern München eine der besten Mannschaften der Welt ist. Wenn wir 100 Mal gegen sie spielen, werden wir 99-mal verlieren. Aber der eine Sieg kommt vielleicht im nächsten Spiel..." - Ein Satz wie er aktuell von über 99 Prozent aller Fußballtrainer dieser Welt stammen könnte.
Doch wenn Marcell Lippi eine solche Aussage tätigt, lohnt es sich trotzdem einmal genauer hinzuhören. Denn Außenseiter war dieser Trainer selten. So abwechslungsreich Lippis Karriere bisher auch gewesen sein mag, eines zieht sich wie ein roter Faden durch seine Laufbahn: Der Erfolg.
Erfolgsgeschichte Juventus
Bei Juventus Turin prägte er eine der erfolgreichsten Ären der Vereinsgeschichte. Nach acht Jahren Durststrecke holte er bereits in seiner ersten Saison mit der Alten Dame den Scudetto. Es folgte eine der erfolgreichsten Zeiten in der Vereinsgeschichte der Bianconeri: Drei Mal in Folge standen die Italiener von 1996 bis 1998 im Finale der Champions League.
Auch wenn es letztlich nur zu einem Triumph in der Königsklasse reichte, gehörte Lippis Mannschaft gespickt mit Stars wie Zidane, del Piero, Dechamps oder Davids zu den überragenden Teamsder 90er-Jahre. Am Ende von insgesamt acht Jahren Turin standen für den Mann aus Versilia fünf Meistertitel, vier Siege in der Super Coppa, sowie jeweils ein Triumph in der Coppa Italia, der Champions League und dem Weltpokal zu Buche.
Höhepunkt WM-Titel
Lippis Meisterstück folgte jedoch erst zwei Jahre später: Im Sommer 2004 übernahm er die kriselnde Nationalmannschaft Italiens, welche sich nach dem blamablen Vorrundenaus und dem Bekanntwerden des Manipulationsskandals um Juventus Turin und andere italienische Großklubs in ihrer schlimmsten Krise befand.
Gerade wegen der Verhandlungen gegen eine Großzahl der Vereine der italienischen Nationalspieler, aber auch wegen eines nach einem Wadenbeinbruch angeschlagenen Francesco Totti, rechnete in Italien kaum jemand mit dem folgenden Triumph der Squadra Azzurra bei der WM 2006. Später behaupteten einige der Weltmeister-Spieler jedoch, dass eben jene Negativschlagzeilen der Mannschaft geholfen hätten, noch enger zusammenzurücken.
Motivationskünstler Lippi
In jedem Fall entscheidend für den WM-Titel war jedoch Italiens geordnete Defensive und taktische Cleverness. Während des gesamten Turniers kassierte die Lippi-Elf kein einziges Tor aus dem Spiel heraus. Dennoch spielte Italien keineswegs Catenaccio, sondern zeigte sich auch offensiv gefährlich. Bis heute ist Lippi der einzige Trainer, der sowohl Weltmeister, als auch Champions-League-Sieger wurde.
Er selbst betonte immer wieder, wie wichtig es ist, einer Mannschaft Selbstvertrauen zu geben: "Ich habe versucht, der Mannschaft die gleiche Überzeugung zu geben, die ich in mir selbst spürte. Denn ich glaubte zu 100 Prozent daran, dass wir in Italien das Potential hatten die WM zu gewinnen."
Paul Newman oder Silberfuchs?
Lippi, so hört man, lässt selbst auch wenig über sein eigenes Selbstvertrauen kommen. Als arrogant, kritikunfähig und Medienschreck wird er zuweilen beschrieben. Gerade zu passend scheint es, dass Lippi auch in Anlehnung an seine Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Filmstar "Paul Newman" gerufen wird. Gerade die weiblichen Fans sollen ihn so zu seiner Spielerzeit bei Sampdoria Genua verehrt haben.
Beim Amtsantritt bei Guangzhou Evergrande musste Lippi sich schnell an einen weiteren Kosenamen gewöhnen. In China ist der Weltmeistertrainer für die Fans schlicht "der Silberfuchs". Bei einem geschätzten Jahreseinkommen von 10 Millionen Euro beim "FC Chelsea des Ostens" wird Lippi die Anspielung auf sein Alter aber ertragen können.
Zumal der Klub weder Kosten noch Mühen scheut, um Lippis Credo gerecht zu werden: "Der wichtigste Aspekt für einen Vereins- wie einen Nationaltrainer ist die Auswahl der richtigen Spieler."
Ausland-Importe bringen den Erfolg
In einer Mannschaft mit überwiegend chinesischen Spielern bilden darum vor allem drei ausländische Verpflichtungen das Herz der Mannschaft. Für umgerechnet 15 Millionen Euro kamen in den letzten Jahren die beiden Brasilianer Muriqui und Elkeson, sowie der Argentinier Dario Conca.
Vor allem Letzterer machte vor zwei Jahren auf sich aufmerksam, als er durch seinen Wechsel und bei einem geschätzten Verdienst von 10,4 Millionen Euro jährlich kurzfristig in die Gehaltssphären eines Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi aufstieg. Spielerisch mag der Vergleich zwar hinken, doch enttäuscht hat der Spielmacher bisher nicht.
Bei 40 Spielen in der Liga und der Asian Champions League standen für den 30-Jährigen diese Saison 22 Tore und 18 Vorlagen zu Buche. Auch Stürmer Elkeson und Flügelflitzer Muriqui weisen mit 43 beziehungsweise 37 Scorerpunkten beachtliche Zahlen in dieser Spielzeit auf.
Auf dem Weg zum FC Bayern Asiens
Für Lippi wirkt es fast typisch, dass am Ende der asiatischen Saison mit dem Double aus Meisterschaft und dem ersten Sieg in der Asian Champions League die erfolgreichste Spielzeit in der Vereinsgeschichte steht. Beinahe hätte der Titelhamster seine Mannschaft sogar zum FC Bayern Asiens gemacht: Durch eine knappe Niederlage im Pokalfinale verpasste man das asiatische Tripple denkbar knapp.
Lippi kann nach zwei Jahren in China bereits jetzt wieder auf einen prall gefüllten Trophäenschrank zurückblicken, dabei bedeutet ihm die Entwicklung des Klubs viel mehr: "Gewinnen ist wichtig, aber über allem steht der Wunsch, ein Projekt zu hinterlassen, das jemand nach mir weiterführen kann. Ich plane die Zukunft dieses Vereins, also werde ich ihn bei meinem Abgang hoffentlich anders zurücklassen, als ich ihn vorgefunden habe."
Selbst ein Engagement als chinesischer Nationaltrainer schließt Lippi nach Vertragsende 2014 nicht aus.
Bayern als Prüfstein
Beim Halbfinale der Klub-WM gegen die Bayern können Lippi und Guangzhou nun beweisen, wie weit die "Entwicklungshilfe" schon fortgeschritten ist. Erster, wenn auch kleiner Indikator hierfür war der souveräne 2:0-Sieg gegen Al Ahly. Gegen die haushoch überlegenen Münchener sind einmal mehr Lippis Fähigkeiten als Taktiker, noch mehr jedoch als Mentor gebraucht.
"Heutzutage braucht man für den Erfolg ein richtiges Team. Das bedeutet nicht, dass man die besten Spieler zusammenspielen lässt, denn selbst dann ist es möglich, dass sie keine Mannschaft bilden. Es ist wie ein Mosaik, in dem man all die Stücke zusammenfügen muss", sagte Lippi einmal, angesprochen auf seine Philosophie. Kaum passender könnte das Motto für das Halbfinale gegen die Bayern sein.
Marcello Lippi im Steckbrief