Die Wiedergeburt des Liberos

Von Josef Opfermann
Die letzte Frau in Aktion: Brasiliens Daiane im Zweikampf gegen Norwegens Emilie Haavi
© Getty

Mit einer altmodischen Taktik zum Weltmeister-Titel? Die Mannschaft aus Brasilien hat genau das vor. Und der Sieg gegen Norwegen zeigte: Dank Marta könnte das sogar klappen.

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Wie heißt eigentlich die weiblich Form von Libero: Libera? Liberoin? Oder vielleicht "Ausputzerin"? Aber klingt das nicht frauenfeindlich, von wegen Frau und putzen. Machen wir also aus dem letzten Mann einfach mal "die letzte Frau"!

Warum das überhaupt wichtig ist? Weil ausgerechnet WM-Favorit Brasilien das Relikt aus vergangenen Tagen wiederbelebt hat. Auch gegen Norwegen schickte Trainer Kleiton Lima am Sonntag mit Daiane einen echten Libero zusammen mit zwei klassischen Manndeckern aufs Feld. Oder heißt es Fraudecker?

Von oben jedenfalls ergibt sich dadurch in Zeiten von Raumdeckung und Viererkette ein ungewohntes Bild. Die Spielerinnen stehen in der eigenen Hälfte weit auseinander, die Defensive wirkt merkwürdig unorganisiert.

Der Erfolg heiligt die Mittel

Lima sah jedoch trotzdem keinen Grund, sich für seine altmodische Taktik in irgendeiner Weise zu entschuldigen: "Die Sache ist ganz einfach: Ich habe kaum gute Abwehrspielerinnen, dafür aber viele gute Kräfte im Mittelfeld zur Verfügung. Deshalb spielen wir 3-4-3, und das schon eine ganze Weile. Solange es erfolgreich ist, sehe ich auch keinen Grund, etwas an unserem System ändern zu müssen." Mit dem 3:0 Sieg gegen Norwegen hatte er ja auch alle Argumente auf seiner Seite.

Doch selbst die unterlegenen Gegnerinnen waren über die Aufstellung der Brasilianerinnen verwundert: "Wir haben sie in der ersten Hälfte dominiert, denn sie waren wirklich nicht gut organisiert", sagte etwa Nora Holstad Berge.

Die norwegische Verteidigerin war selbst eine der Hauptakteurinnen in einer wohl spielentscheidenden Szene. Auf dem Weg in Richtung des norwegischen Strafraums geraten sie und Marta kurz vor der Pause in einen Zweikampf um den Ball. Marta drückt leicht von hinten, bringt somit Berge zu Fall, hat freie Bahn und trifft ins Tor.

"Ich müsste die Fernsehbilder nochmal sehen. Ich persönlich hatte aber das Gefühl, dass ich geschoben wurde", sagte Berge später. Marta ist, wie sollte es anders sein, der Meinung, dass es kein Foul war: "Ich glaube, dass wir beide unseren Körper eingesetzt haben. Um sicher zu sein, müsste ich aber auch die Fernsehaufnahmen sehen."

Pfiffe gegen Marta

Nach ihrem strittigen ersten Tor hatte Marta jedenfalls mit dem Unmut der Fans zu kämpfen. Spätestens da war deutlich zu spüren, dass die Zuschauer im ausverkauften Wolfsburger Stadion mehr mit dem Team aus Norwegen mitfieberten.

"Es ist klar, dass die Fans mehr auf der Seite der Norwegerinnen sind. Wir sind hier in Europa. Die haben nicht so einen weiten Weg bis nach Deutschland. Die Entfernung für brasilianische Fans ist viel größer", sagte Marta, die von der FIFA zur Spielerin des Spiels gekürt wurde.

Denn zu Beginn der zweiten Hälfte revanchierte sich die derzeit beste Fußballerin der Welt für die vielen Pfiffe. Erst lieferte sie die Vorlage zum 2:0 durch Rosana in der 46. Minute und markierte nur zwei Minuten später ihren zweiten Treffer zum 3:0. Das Spiel war entschieden.

"Deutschland ist die stärkste Mannschaft"

Nach dem Schlusspfiff ließen sich die Brasilianerinnen zu Recht feiern und verabschiedeten sich mit Samba-Rhythmen und Gesängen in der Mixed Zone. Während die Norwegerinnen noch tapfer Interviews gaben.

"Ich halte Deutschland weiter für die stärkste Mannschaft. Aber die Brasilianerinnen gehören auch zu den Favoriten auf den WM-Titel, selbst wenn sie schlecht organisiert sind. Vor allem die drei Angreiferinnen haben eine große individuelle Klasse und sind enorm schnell. Allen voran natürlich Marta", erklärte Nora Holstad Berge, die mit ihrem Team im letzten Spiel gegen Australien um Platz zwei in der Gruppe kämpft.

Brasilien ist dagegen bereits sicher für das Viertelfinale qualifiziert. Dort warten Gegner wie Schweden oder die USA. Es wird also nicht leichter auf dem Weg zum Traum vom Finale und vom Triumph bei dieser Weltmeisterschaft.

Doch eines hat die Mannschaft bereits gezeigt: Dass man auch mit einer so gut wie ausgestorbenen und altmodischen Taktik gegen gut gestaffelte Teams wie Norwegen bestehen kann. Auch durch die individuelle Klasse von Marta.

Josef Opfermann (17) begleitet als DB Schülerreporter die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011. Während der WM berichtet er vor Ort von den Spielen in Wolfsburg.