Die überraschende Vertragsverlängerung von Marco Reus liegt jetzt knapp über zwei Monate zurück. Borussia Dortmund versprach sich davon eine Signalwirkung, die in erster Linie auf die eigene Belegschaft ausstrahlen sollte. Dies ist mit Stand Ende April allerdings nicht unbedingt der Fall.
Trainer Jürgen Klopp bat zwischenzeitlich um Auflösung seines Vertrags, Mats Hummels machte sich öffentlich Gedanken zu seiner Zukunft, auch bei den mit Verträgen bis 2016 ausgestatteten Roman Weidenfeller, Neven Subotic oder Kevin Großkreutz hat sich offiziell noch nichts getan.
Gündogan: Madrid statt Manchester?
Die spannendste Frage ist aber neben der, welche Pläne Klopp-Nachfolger Thomas Tuchel ab Juli verfolgen wird, die nach der weiteren Entwicklung bei Ilkay Gündogan. Die Borussia hat dem deutschen Nationalspieler längst einen ausverhandelten Vertrag vorgelegt, um Gündogan bis 2018 in den eigenen Reihen zu wissen.
Zorc kündigt zeitnahe Entscheidung an
Doch der 24-Jährige zögert, seit Wochen schon. Und er schweigt. Das lässt Spielraum für (zu) viele Spekulationen und Gerüchte, die in den letzten Wochen automatisch aus dem Boden schossen. Eine Einigung mit Manchester United wurde Ende vergangener Woche bereits als fix verkauft, die Dortmunder Verantwortlichen reagierten mit Medienschelte und Dementi.
Dass man in Verhandlungen mit der Gündogan-Partei, der neben dem Spieler dessen Vater und Onkel angehören, Geduld benötigt, ist keine neue Erkenntnis. Bereits im Vorjahr zogen sich die Gespräche, die Verkündung der Verlängerung um ein weiteres Jahr bis 2016 kam in der Endphase der Saison zu einem überraschenden Zeitpunkt.
Auch diesmal dauert es lange, laut Sportdirektor Michael Zorc soll eine finale Entscheidung demnächst erfolgen. Nach den bisherigen Entwicklungen wäre ein Verbleib Gündogans die Überraschung. Neben United sollen sich einige andere Vereine aus der Gruppe der üblich Verdächtigen in Position gebracht haben. An Alternativen zum BVB mangelt es Gündogan in keinem Fall.
Gündogan: "Ich habe Maßstäbe gesetzt"
Und das, obwohl Gündogans Leistungen in den bislang 27 Pflichtspielen für den BVB in dieser Spielzeit relativ wellenförmig ausfielen. Es steckt ihm immer noch sehr in den Knochen, über 400 Tage keine Partie unter Wettkampfbedingungen absolviert zu haben.
Dessen ist sich der sehr reflektierte Gündogan auch bewusst, wenn er gegenüber dem Vereinsmagazin "Echt" sein aktuelles Leistungsvermögen auf "vielleicht 60 bis 70 Prozent" einschätzt und sagt, dass es "zwischendurch immer wieder Spiele gibt, in denen ich untertauche oder nicht die Form zeige, die ich eigentlich haben müsste."
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Es ist für Gündogan noch ein ganzes Stückchen zu gehen, um wieder die volle Prozentzahl zu erreichen und an seine grandiose Spielzeit 2012/2013 anzuknüpfen. "Ich finde schon, dass ich vor meiner Verletzung Maßstäbe gesetzt habe, auch für mich persönlich", sagt Gündogan selbstbewusst.
Kommt der "alte" Gündogan wieder zum Vorschein?
Facetten dieser Maßstäbe hat er immer noch intus, was nach einer solch langen Verletzungsmisere keineswegs als selbstverständlich betrachtet werden darf. Die schnellen Drehungen und Wendungen, das strategische Auge, die präzisen Pässe - sie schlummern noch in Gündogan und sind Keim der berechtigten Hoffnung, dass alles wieder so werden könnte wie am Höhepunkt vor zwei Jahren.
Allerdings bleibt es, wie auch Gündogan selbst mehrfach schon betonte, eine Hoffnung. "Ich weiß, dass mir jedes einzelne Spiel gut tut, dass ich jedes einzelne brauche, und dass es an mir liegt, jeden Tag daran zu arbeiten, wieder das Maximum aus mir herauszuholen", sagt er. Eine Garantie, dass der "alte" Gündogan über kurz oder lang wieder zum Vorschein kommen wird, gibt es nicht.
Wäre es also unter diesen Voraussetzungen sinnvoll, die Zelte in Dortmund abzubrechen und sich die erweiterte Spielpraxis auf dem Weg zurück zu den ehemals gesetzten Maßstäben bei einem anderen Verein zu holen?
Risiko Auslandswechsel
Ein Transfer zu einem Top-Klub im Ausland würde ebenso wie der einzig denkbare Wechsel innerhalb der Bundesliga zum FC Bayern sicherlich ein gewisses Risiko für Gündogan bergen. In diesen Gefilden ist der Konkurrenzkampf enorm, der Druck um ein Vielfaches höher sowie Zeit und Geduld begrenzt, um sich nach und nach wieder in Topform zu bringen.
Ginge der Weg ins Ausland, müsste sich Gündogan zudem mit einem neuen Umfeld auseinandersetzen, dessen Wirkung auf ihn ungewiss wäre. Bislang ist noch kein Spieler, der die Kloppsche Komfortzone verlassen hat, außerhalb der Landesgrenzen glücklich geworden.
Diese möglichen Gefahren ließen sich bei einem Verbleib in Dortmund umgehen. Dort kennt Gündogan Umfeld und Ansprechpartner in- und auswendig, er würde zu einem der Spitzenverdiener aufsteigen und gälte als gesetzt. Die Ankunft Tuchels wird ab Juli für eine Aufbruchstimmung sorgen, die Gündogans Vorhaben zuträglich sein könnte - eine komplette Sommer-Vorbereitung und die Anwesenheit ab dem Beginn der neuen Spielzeit wäre für ihn der endgültige Neustart.
Verkauf bei einem "Nein"
Dass Gündogan seine Optionen und die damit verbundenen Risiken genau abwägt, ist nachvollziehbar. Doch muss er aufpassen, durch das ausgiebige Schweigen den Bogen nicht zu überspannen. Der Eindruck, auf Zeit zu spielen, verfestigt sich mit jedem Tag, der ohne Entscheidung vergeht.
An manchen Stellen hört man zudem Unzufriedenheit heraus, dass sich Gündogan überhaupt so viel Zeit und die notwendige Dankbarkeit seinem Arbeitgeber gegenüber vermissen lässt. Schließlich hielt der Verein ihm in der schlimmsten Phase seiner Karriere mehr als ein Jahr lang den Rücken frei und verlängerte noch währenddessen - wenn auch sicherlich nicht uneigennützig - seinen Vertrag.
Den würde er dem Vernehmen nach auch gerne erfüllen. Dieses Szenario schließt wiederum der Klub für sich aus. Bei einem "Nein" von Gündogan zur vorzeitigen Vertragsverlängerung würde der BVB auf einen Verkauf nach der aktuellen Saison drängen, um mit dem Spieler noch Geld zu verdienen.
"Wenn Ilkay uns sagt, er verlängert den Vertrag nicht, dann werden wir es sicherlich machen, wenn ein ordentliches Angebot kommt - aber auch nur dann", machte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke deutlich.
Es bleibt weiter undurchsichtig, wie es zwischen Dortmund und Gündogan weitergehen wird. Sollte er sich doch noch zu einem "Ja" durchringen können, hätte zumindest auch Reus' Unterschrift den ersten personellen Erfolg nach sich gezogen.
Ilkay Gündogan im Steckbrief