Immer wieder ist im Profifußball die Rede von Sensibelchen. Wie oft hat man nicht schon ehemalige Jugendtrainer über plötzliche WM-Helden sagen hören: "Er ist ein Ausnahmekicker - aber er braucht das Vertrauen des Trainers."
Es ist legitim. Klar. Natürlich arbeitet es sich leichter, wenn man ständig auf die Schulter geklopft bekommt. Wenn man weiß, dass man Fehler machen darf und trotzdem spielt. Aber daran darf sich eine Person des öffentlichen Lebens, wie sie ein Profi-Fußballer nun mal ist, nicht gewöhnen. Und erst recht nicht seine Leistung damit rechtfertigen.
Der professionelle Fußball ist ein Geschäft. Wie in jedem anderen Berufszweig werden Entscheidungen gefällt, die für Einzelne auch mal unangenehm ausfallen. Kritik muss man sich bis zu einem gewissen Grad gefallen lassen. Und man sollte sie wegstecken können - das gehört dazu, wenn man im Jahr Millionen verdient.
Good Cop, Bad Cop
Entsprechend ist das so eine Sache mit Mario Götze. Wie keinen anderen deutschen Fußballer begleitet ihn seit der WM 2014 in Brasilien die Vertrauens-Diskussion. Der Zwist: DFB versus FC Bayern. Good Cop, Bad Cop.
Während es der Finaltorschütze des deutschen Südamerika-Wahnsinns nicht schaffte, sich in München unter Pep Guardiola durchzusetzen, empfängt man ihn in der Nationalmannschaft stets mit offenen Armen. Gerade Bundestrainer Joachim Löw vermittelt immer wieder das Gefühl: Mario Götze - das könnte Deutschlands Heilsbringer sein.
Die Beziehung Götze-Löw ist überhaupt nicht vergleichbar mit dem Götze-Guardiola-Clinch. Der Eine, dessen Zuspruch vor der Einwechslung im WM-Finale ("Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi") Berühmtheit erlangte, lässt auf den Nationalspieler nichts kommen. Der Andere ließ Götze wochenlang auf der Bank schmoren - mit der klaren Botschaft: Für dich reicht es hier nicht.
Löw bereut Messi-Vergleich nicht
Was sich Götze auf jeden Fall ankreiden lassen muss: Er hat den Eindruck vermittelt, beim FCB nicht alles dafür getan zu haben, der unumstrittene Stammspieler zu werden, der bei der Verpflichtung 2013 in München visualisiert wurde. Götze, so schien es gerade zuletzt, badete ein bisschen in Bequemlichkeit und Trotz.
Ob Löw diese Entwicklung mit seinem selbst öffentlich gemachten Messi-Vergleich nicht in die Wege geleitet habe, wurde er zuletzt gefragt. Nein, lautet die Antwort des Bundestrainers, der nicht das Gefühl hat, die Verantwortung für die gestiegene Erwartungshaltung an Götze zu tragen: "Ich habe das damals aus dem Bauch heraus gesagt. In dem Moment war das gut und das Richtige. Ich glaube nicht, dass er deswegen ein Problem bekommen hat", so Löw.
Evian: Jugendliche Leichtigkeit kehrt zurück
In den ersten Tagen bei der Nationalmannschaft schlich Götze noch ein bisschen im Deckungsschatten der Kollegen auf den Platz. Bloß nicht auffallen, keinen falschen Schritt setzen, einfach mitwirken.
Ganz deutlich zeichnete sich seine Bürde ab, die er aus dieser Bayern-Saison mit sich herumschleppt: Er wirkte äußerst vorsichtig, fast sogar ein bisschen beklemmt. Die letzten Monate ohne wesentliche Rolle beim Rekordmeister hatten ihn durchaus gezeichnet. Zum Beispiel in Sachen Selbstverständnis.
Doch wer Götze bei den jüngsten Trainingseinheiten in Evian auf den Platz kommen sah, bemerkte, wie seine jugendliche Leichtigkeit, die er seit 2014 nicht mehr ausleben konnte, zurückkehrte - und damit einhergehend Platz zur Entfaltung. Er mischte viel aktiver zwischen seinen Kollegen mit, lachte ungezwungen und wirkte hier und da sogar mal wieder zum Scherzen aufgelegt - Bilder, die man in München zuletzt nicht beobachten konnte.
Zeig der Welt, dass du Götze bist
Löw vertraut Götze. Bei dessen Namen hat der Nationaltrainer immer noch die Szene vor Augen, als der Ball nach Schürrles Flankenlauf Götzes Brust fand und dann im argentinischen Tor einschlug. Was nach Realitäts- beziehungsweise vielmehr Aktualitätsverlust klingt, ist es gar nicht mal. Denn Götze kann es ja. Das hat er doch längst bewiesen.
"Mario Götze ist ein Spieler mit vielen Fähigkeiten. Dass er nach so einem emotionalen Moment ein Tief erlebt, ist nichts Ungewöhnliches", sagt Löw, der mit Götzes Leistungen in den Tests gegen die Slowakei und Ungarn zufrieden war: "Ich habe ihn sehr positiv gesehen. Er war in beiden Spielen gut und hat sich sehr gut bewegt."Entsprechend hält es der Bundestrainer für möglich, dass Götze bei der Europameisterschaft in Frankreich wieder eine tragende Rolle im DFB-Team einnimmt: "Ich glaube, er ist bereit für diese EM." Damit gab Löw deutliche Signale.
Bei der Nationalmannschaft kann Mario Götze er selbst sein. Man lässt ihm alle Möglichkeiten dazu - Löw ganz besonders. Das Prinzip Vertrauen funktioniert hier. Doch so schön die Wohlfühloase DFB für den einst als Jahrhunderttalent gefeierten Götze auch ist: Er muss der Welt mal wieder zeigen, dass er noch er selbst ist. Er kann es.
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