Thomas Tuchels Verwandlung des FC Chelsea war ohne Zweifel eine der größten Errungenschaften der Premier-League-Saison 2020/21.
Es wäre schon in normalen Zeiten ungewöhnlich genug, eine Mannschaft in nur wenigen Monaten taktisch auf links zu drehen, sie vom zehnten auf den vierten Platz und in das Champions-League-Finale (Samstag, 21 Uhr im LIVETICKER und Live auf DAZN) zu führen.
Aber dies mitten in einer ultra-anstrengenden und in allen Belangen ungewöhnlichen Pandemiesaison, in der Spiel auf Spiel folgte und noch weniger Zeit auf dem Trainingsgelände blieb als sonst, zu schaffen: das ist noch einmal etwas völlig anderes.
20 Punkte hatte Chelsea aus seinen ersten 19 Premier-League-Spielen unter Lampard in dieser Saison geholt, 38 waren es unter Tuchel, der nun zum zweiten Mal hintereinander mit einer Mannschaft im Champions-League-Finale steht.
Der Deutsche verdoppelte nach seiner Ankunft von PSG praktisch die Anzahl der Punkte pro Spiel. Vor der 1:2-Niederlage gegen Aston Villa am letzten Spieltag hatte Tuchel eine Siegquote von 66,6 Prozent - die höchste aller Chelsea-Trainer seit Jose Mourinhos erster Amtszeit.
So hat Tuchel Chelsea umgekrempelt:
FC Chelsea unter Tuchel: Pandemie-Fußball
Vor seinem Wechsel zu Chelsea stand Tuchel für taktische Flexibilität, häufig auch während eines Spiels wechselnden Formationen und einem bisweilen etwas hektisch anmutenden Angriffsfußball aus der guten, alten Klopp-Gegenpressing-Schule.
Um sich an die einzigartigen Bedingungen dieser Saison anzupassen, hat Tuchel bei Chelsea einen eher langsamen, ruhigen und sehr ballbesitz-lastigen Fußball eingeführt, der den größten Teil des Aufbauspiels in der Mitte des Spielfelds konzentriert.
Ähnlich wie Pep Guardiola, Bruder im Geiste und Gegner im CL-Finale am Samstag, hat Tuchel das Mittelfeld mit Spielern vollgestellt, um Ball und Gegner ins Zentrum zu locken. Dort warteten Chelseas Techniker nur darauf, das Spiel an sich zu reißen. Chelsea vermied es so, zum Opfer des bisweilen chaotischen Pandemiefußballs zu werden.
"Pep war einer der ersten, der mich angerufen hat, nachdem in Paris Schluss war", sagte Tuchel zu DAZN: "Es ist immer ein sehr freundschaftlicher Austausch." Aber was Tuchel von Guardiola unterscheidet, ist die Beständigkeit seiner Formation und seines Stils. Chelsea bewegte sich unter Tuchel selten von einer 3-4-2-1-Grundordnung, die ein wenig an Antonio Contes Lieblingssystem erinnert, weg. Zudem versuchte die Mannschaft zu starkes Pressing und zu schnelles Tempo zu vermeiden und fokussierte sich auf ein geordnetes Aufbauspiel.
Auf diese Weise konnten Chelseas Spieler das neue System trotz mangelnder Trainingszeit schnell erlernen.
FC Chelsea unter Tuchel: Matchpläne statt Spontanität
Die Formation gleich und die Spielgeschwindigkeit relativ niedrig zu halten, hat Chelsea eine solide Grundlage gegeben, auf der Tuchel sein detailliertes Positionsspiel aufbauen und seine berühmten Matchpläne umsetzen konnte.
Es ist eine große Abkehr vom spontanen Stil unter Lampard, der im letzten Drittel vor allem auf die Instinkte seiner Spieler und auf viel Improvisation setzte.
Das Positionsspiel unter Tuchel wirkt manchmal auch wegen des geringen Tempos des Chelsea-Spiels etwas roboterhaft, Chelsea spielt alles andere als spektakulär - nur 37 Tore in wettbewerbsübergreifend 29 Spielen sprechen Bände - ist jedoch kaum mehr anfällig für Gegenangriffe.
Wie Guardiolas Manchester City hat Chelsea unabhängig vom Szenario die Kontrolle über das Spiel.
FC Chelsea unter Tuchel: Deutsches Angriffsspiel
Von dieser Basis aus hat Tuchel begonnen, einen Teil der Angriffsdynamik seiner früheren Mannschaften Borussia Dortmund und Paris Saint-Germain umzusetzen.
Chelsea hat unter Tuchel begonnen, in der Angriffsbewegung vertikal zu spielen, um die Bälle in die Läufe von Timo Werner zu schneiden.
Das hat nicht immer geklappt, zu müde wirkte das Team oft, um allen Vorgaben im Detail zu folgen, Chelseas Spieler sind keine Gegenpressingmonster. Aber Tuchel hat mehr aus Kai Havertz und Werner herausgeholt als sein Vorgänger.
Havertz hat sich in den letzten Monaten deutlich gesteigert, Werner kann auch deswegen so viele gute Torchancen liegenlassen, weil er zu so vielen Gelegenheiten kommt.
Havertz und Werner harmonieren unter Tuchel bei Chelsea deutlich besser als vorher. Was nicht verwunderlich ist, da beide bei Bayer Leverkusen respektive RB Leipzig im deutschen Gegenpressing-Stil trainiert wurden.
Kai Havertz und Timo Werner in ihrer ersten Saison bei Chelsea
Name | Spiele | Tore | Vorlagen |
Kai Havertz | 44 | 8 | 9 |
Timo Werner | 51 | 12 | 15 |
Chelsea unter Tuchel: Mason Mount als X-Faktor
Es ist keine Überraschung, dass Mason Mount schnell zu einem der Lieblingsspieler von Tuchel geworden ist. Der englische Nationalspieler ist ein außergewöhnlich kluger Fußballspieler, der das taktische Rätsel eines Spiels selbst löst und gleichzeitig den Anweisungen seines Managers genau zuhört.
Infolgedessen ist der offensive Mittelfeldspieler Mount zum Dreh- und Angelpunkt seines Teams geworden und erhöht das Niveau aller um ihn herum. Dies gilt für Kai Havertz und noch viel mehr für die zentralen Mittelfeldspieler N'Golo Kante und Jorginho.
Tuchel hat einen Weg gefunden, ihre Stärken zu ergänzen - Kante steht nun häufig höher und scheint immer bereit, einen Pass durch die Linien von Jorginho zu erhalten.