Im Flieger nach Porto beendete Trainer Jürgen Klopp endgültig die Torhüterdiskussion bei den Reds. Nachdem er Loris Karius bereits einige Wochen zuvor zum Stammkeeper in der Premier League erklärt hatte, schaffte er nun auch die Rotation ab, die er bis dahin gepflegt hatte. "Loris wird starten", erklärte er im Hinblick auf das Duell im Champions-League-Achtelfinale.
Bis zum Saisonende wird der 24-jährige Karius nun mindestens den Kasten des FC Liverpool hüten, auf der Jagd nach den Top Four in der Liga und dem bestmöglichen Ergebnis in der Königsklasse.
Damit gehen für den ehemaligen U21-Nationalspieler turbulente 20 Monate zu Ende: Seit seinem Wechsel vom Mainzer Bruchweg an die Anfield Road hat Karius eine Achterbahnfahrt hinter sich, jetzt steht er wieder oben. Allzu sicher wird er sich doch nicht fühlen. Dafür hat er zu viel erlebt.
Klopp: Karius bringt alle Fähigkeiten mit
"Loris Karius ist ein Top-Paket. Ein moderner Fußballer, er hat alle fußballerischen Fähigkeiten und ist ein guter Shot-Stopper mit tollen Reaktionen", schwärmte Klopp Ende Januar im Exklusiv-Interview mit DAZN über den Keeper, den er vor dem epischen 4:3-Sieg über Manchester City zur neuen Nummer eins gemacht hatte. Und lieferte dann eine Zusammenfassung, warum Karius' Neustart auf der Insel so holprig ausgefallen war.
Man habe Karius im Sommer 2016 vom 1. FSV Mainz 05 losgeeist, "um ihn ins Tor zu stellen". Der damals 23 Jahre alte Keeper, der in der Saison zuvor mit starken Leistungen auf sich aufmerksam gemacht hatte, sollte Simon Mignolet im Tor ablösen. Englanderfahrungen hatte Karius in der Jugend und Reserve von Manchester City bereits gesammelt, nun sollte er Liverpool auf der Jagd nach dem ersehnten Meistertitel einen Schub verleihen. Für einen einstelligen Millionenbetrag - von einem Star konnte man sicher nicht sprechen.
Und so war es für viele Fans keine wirkliche Überraschung, als Mignolet, schon seit drei Jahren beim Verein, die Saison 2016 als Stammkeeper begann. Begünstigt allerdings durch das Verletzungspech seines Kontrahenten. "Karius hat überragend angefangen in der Vorbereitung", erinnerte sich Klopp, "und dann hat er sich die Hand gebrochen. Doofer Start." Bei einem Testspiel in den USA Ende Juli passierte es, zwei Monate war Karius außer Gefecht.
Karius' erstes Jahr in Liverpool: Nach Patzern auf die Bank
Sein deutscher Trainer wollte Karius danach so schnell wie möglich zwischen den Pfosten stehen haben und tauschte am sechsten Spieltag seine Torhüter, obwohl Mignolet keinen schlechten Saisonstart geliefert hatte. Im Nachhinein ein Fehler.
"Den Schuh ziehe ich mir an, das war möglicherweise ein bisschen zu früh", musste Klopp zugeben. Karius war noch nicht im Rhythmus, vor allem hatte er sich an das enorm physische Spiel in der Premier League nicht akklimatisieren können. Es folgten unsichere Auftritte, schließlich sogar mehrere schlimme Patzer, die seinen Klub Punkte kosteten.
Und so prasselte eine Menge Kritik auf den jungen Schlussmann ein: In der Presse herrschte Unverständnis darüber, dass ein gestandener Premier-League-Schlussmann für diesen Fehlerteufel weichen musste. "In acht Spielen hat er mir nicht einen Beweis dafür geliefert, gut genug für diesen Level zu sein", urteilte etwa Jamie Carragher Anfang Dezember.
Klopp schlug zurück, stellte sich schützend vor seinen Wunschtorhüter. "[Gary Neville] hat bewiesen, dass er Probleme mit dem Job hat, Spieler zu beurteilen. Warum lassen wir ihn dann über Spieler im Fernsehen reden", wies Klopp den früheren Nationalspieler zurecht, der sich mittlerweile wieder als Experte verdingt.
Und musste seinen Fehler wenig später eingestehen. "Ich weiß wie stark Loris Karius ist. Leider konnte er das in den letzten paar Spielen nicht zeigen. Es gibt keinen Grund, ihn durch diese Phase zu schleifen", sagte er, als Karius beim 2:2 gegen West Ham doppelt patzte. Nach zehn Auftritten in der Liga rückte Karius wieder hinter Mignolet. Lediglich in den Pokalwettbewerben durfte der von Klopp als "langfristiges Projekt" betitelte Keeper noch ran.
Rotation im Liverpool-Tor bietet Karius zweite Chance
Die zweite Chance für Karius bot sich in der kommenden Saison: Liverpool hatte die Champions League erreicht, Klopp setzte angesichts der englischen Wochen auf Rotation. Mignolet spielte weiterhin in der Liga, Karius durfte sich in der Gruppenphase seine Minuten holen und sich für weitere Aufgaben empfehlen.
Wieder gab es Kritik - und wieder wurde sie vom Trainer pointiert gekontert. "Wenn die Ersatztorhüter keine Einsätze bekommen, müssen wir jedes Jahr eine 33 Jahre alte Nummer zwei finden, die immer noch Bälle halten, aber nicht mehr spielen will", erklärte Klopp im September, "da habe ich lieber eine Gruppe guter Keeper. Und da muss man eben mal wechseln."
Also verdiente sich Karius seine Sporen in der Königsklasse. "Als 1A oder 1B möchte ich das nicht bezeichnen, aber befriedigend war das nicht. Ich wollte natürlich jede Woche spielen", sagte er im Interview mit der Welt. "Ich wusste aber: Irgendwann bekomme ich wieder meine Chance." Das Vertrauen des Trainers sei trotz allem "spürbar" gewesen.
Dank guter Leistungen: Karius verdrängt Mignolet
Die Chance, endlich wieder Premier-League-Luft zu schnuppern, kam in hektischen Weihnachtsphase. "Die Rotation über die Weihnachtsperiode war klar, das wusste ich schon im letzten Jahr", erklärte Klopp bei DAZN. Karius spielte gegen West Brom, Leicester und im Pokal gegen Everton, ließ sich nichts zuschulden kommen. Mignolet dagegen wackelte mehrfach - und sprach sich bei seinem Trainer Anfang Januar gegen die Rotation der letzten Wochen aus.
Zwei Wochen später war er seinen Job los. "Karius hat wirklich gute Spiele gemacht. So, und jetzt haben wir gewechselt. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen", sagte sein Trainer nüchtern über den Wechsel.
Die Opta-Daten geben Klopp recht: Mit Karius im Tor gab es in dieser Saison im Schnitt weniger Gegentore und mehr Punkte, der Deutsche wehrte mehr Schüsse ab und leistete sich keine Fehler vor Gegentoren.
FC Liverpool - Pflichtspiele 2017/18 | ||
Simon Mignolet | Loris Karius | |
22 | Einsätze | 15 |
12 / 7 / 3 | Siege/Unentschieden/Niederlagen | 9 / 5 / 1 |
1.95 | Punkte pro Spiel | 2.13 |
30 | Gegentore | 14 |
1.36 | Gegentore pro Spiel | 0.93 |
7 | Weiße Westen | 7 |
2 | Fehler vor Gegentoren | 0 |
57.14 % | Abgewehrte Bälle | 63.16% |
41 | Paraden | 24 |
1.86 | Paraden pro Spiel | 1.60 |
4 / 2 | Elfmeter / Gehaltene Elfmeter | 3 / 1 |
Den neuen Stammplatz in der Liga bestätigte Karius mit ansteigender Form. "Mein Selbstvertrauen steigt und steigt, ich gewöhne mich wieder an die neuen Anstoßzeiten", sagte er. "Wenn man jede Woche spielt nicht nur unter der Woche reinkommt, ist es einfach anders." Beim 2:0 in Southampton am Wochenende lieferte er laut Klopp ein "fantastisches Spiel" und wischte so letzte Zweifel an einem Mignolet-Auftritt in Porto beiseite.
Bis Saisonende darf er nun zeigen, wie er sich in den letzten eineinhalb Jahren entwickelt hat. Sollten sich keine schweren Patzer einstellen, dürfte es keinen weiteren Wechsel geben - wobei Klopp gezeigt hat, dass er in einem solchen Fall keine Skrupel kennt.
Neue Konkurrenz in der kommenden Saison?
Früher oder später wird es jedoch wieder Konkurrenz geben. Mignolet hat öffentlich bereits mehr als verschnupft auf seine Demontage reagiert: "Natürlich denke ich an meine Zukunft." Schließlich sei er schon 30 Jahre alt und die WM steht vor der Tür: "Zu lange kann es so nicht weitergehen, das ist klar." Zu einem Wechsel im Wintertransferfenster kam es nicht, der könnte aber im Sommer folgen.
Und dann müsste Klopp wieder einen Ersatzmann holen - beziehungsweise keinen Ersatzmann eben, sondern einen Keeper, der mit Karius um die Nummer eins konkurriert. In den Medien wird bereits Jack Butland von Stoke City gehandelt, auch Alisson Becker vom AS Rom war schon im Gespräch.
Gerade Butland hat in England derzeit ein besseres Standing als Karius. Doch einmal mehr stärkte Klopp Karius den Rücken. "Butland ist ein fantastischer Keeper, aber war er perfekt? Nein. Nicht in dem Spiel, das ich gesehen habe. Aber trotzdem sagen alle: 'Immer noch besser als unsere Jungs'".
Klopp weiter: "Natürlich muss Loris abliefern. Und das weiß er auch.". In Liverpool lege man aber eben ganz andere Standards an - und sei dem eigenen Spieler gegenüber ganz besonders kritisch: "Wenn unser Torwart einen Fehler macht, ist es ein Desaster. Wenn ein anderer daneben greift, ist er immer noch fantastisch und wir sollen ihn kaufen."
Derartige Schlagzeilen kann Karius nur verhindern, wenn er im Saisonendspurt groß aufspielt. Gegen Porto bietet sich die nächste Chance dazu, die Kritiker zu überzeugen. Seinen Trainer weiß er bereits hinter sich.