Nicht wenige Männeraugen dürften an diesem Mai-Abend gestrahlt haben, wie lange zuvor nicht mehr. Keine vier Monate war es her, da hatte er in einer hollywoodreifen Nacht- und Nebelaktion mit Pep Guardiola den größten Trainer-Coup der Geschichte des Rekordmeisters, vielleicht sogar der Bundesliga, gelandet. Jetzt saß Uli Hoeneß bei der Podiumsdiskussion eines Hightech- und Computerverlags. Und erzählte. Und begeisterte einen Raum voller Computerfachleute mit Geheimnissen aus dem Reich des großen FC Bayern.
"Guardiola hatte gewisse Vorstellungen, einen jungen brasilianischen Spieler zu kaufen", fing der stolze Hoeneß an. "Aber wir waren in der Vergangenheit nicht so gut gelegen mit jungen Brasilianern."
Gemeint war damit freilich Neymar, damals noch beim FC Santos unter Vertrag und schon Peps Objekt der Begierde zu dessen Zeit beim FC Barcelona. Dort landete der Paradiesvogel schließlich auch. Für über 50 Millionen Euro. 40 Spiele hat der Brasilianer für die Katalanen in der laufenden Saison gemacht, 28 Tore geschossen und neun vorbereitet.
Für Hoeneß damals zu viel Geld und zu viel Risiko. Weil aber Guardiola "einen ähnlichen Spieler haben wollte, sind wir dann auf Mario Götze gekommen".
"...da darf man viel erwarten"
Götzes Wechsel für 37 Millionen Euro nach München erschüttert Fußball-Deutschland in seinen Grundfesten. Einen Monat nach Bekanntwerden sieht der verletzte Götze von der Tribüne aus, wie der BVB gegen seinen künftigen Arbeitgeber aus München das Champions-League-Finale verliert. Nach einer turbulenten und von Verletzungen durchzogenen Premieren-Saison an der Isar schießt Götze Deutschland im Maracana zum Weltmeistertitel. Und trägt sich in die Geschichtsbücher ein. Mit 22 Jahren.
Dass aber selbst Legenden-Status nicht vor Kritik schützt, muss das Wunderkind gerade am eigenen Leib erfahren. Harsche Worte hagelt es auf der Zielgeraden seiner zweiten Saison in München. Dabei schienen die Fragezeichen, die lange hinter ihm standen, nach der bärenstarken Vorrunde schon weggewischt. Als er sich bei von den WM-Nachwehen dezimierten Münchnern unverzichtbar machte.
"Dafür haben wir ihn eingekauft. Er hat viel Geld gekostet, da darf man viel erwarten", scherzte Karl-Heinz Rummenigge noch im September, nachdem Götze gegen Paderborn glänzte und einen Doppelpack schnürte.
Ende April ist die Personalsituation in München noch angespannter als zu Saisonbeginn. Doch in Abwesenheit von Franck Ribery und Arjen Robben kämpft Götze mit seiner neuen Hauptrolle. Und das, obwohl ihm der gestiegene Einfluss auf das Spiel in Abwesenheit von einem oder beider Superstars eigentlich immer gelegen kam. 22 Scorerpunkte sammelte Götze bislang in 17 Partien. Standen Ribery und Robben in einem der Spiele auf dem Platz, war Götze nur dreimal an Treffern beteiligt. In neun Partien mit nur einem der beiden Superstars trug sich Götze neunmal ins Scoreboard ein, ohne Robbery traf oder assistierte der 22-Jährige in fünf Partien.
Streichkandidat Nummer eins
Trotz der neuen Freiheiten wirkt Götzes Spiel verkopft. Verkünstelt, ohne Effekt. Und das nicht erst in den letzten Partien. Einer der wenigen verblieben Akteure für die spielerischen Momente - für die Dribblings, für die Ein-gegen-Eins-Situationen - er spielt nicht einmal die erste Geige in einer Mannschaft, die auf dem Zahnfleisch geht.
Götze leidet dabei auch unter seiner Polyvalenz, unter der Fähigkeit, überall spielen zu können. Linksaußen, Rechtsaußen, Mittelstürmer, Zehner, Halbposition links, Halbposition rechts. Pep musste Götze ob der Personalsituation schon auf jeder offensiven Position einsetzen - wenig verwunderlich, dass sich ein wirklicher Rhythmus da nicht einstellen mag.
Dabei sind 15 Treffer und sieben Assists in 39 Partien alles andere als nur mittelmäßige Werte. Doch resultieren alleine sechs der 15 Tore aus den Kantersiegen gegen Paderborn (4:0), Werder Bremen (6:0) und den Hamburger SV (8:0). Zwar stand Götze bei nur vier Pflichtspielen nicht auf dem Platz, doch musste er 17-mal frühzeitig zum Duschen. Das sind mehr Spiele, als der gebürtige Allgäuer über die vollen 90 Minuten auf dem Feld stand. Gefühlt ist der 37-Millionen-Mann Peps Streichkandidat Nummer eins, geht es darum, die Mannschaft während der Partie zu verändern.
Kein "super, super" für Götze
"Er muss auf dem Platz sprechen, im richtigen Moment. Nicht mit den Journalisten, dem Berater, dem Präsidenten oder dem Trainer", lautete kürzlich Guardiolas Appell an seinen Schützling. Eine ungewohnt deutlich Aussage, fernab des sonst obligatorischen "super, super". Eine ungewohnt deutliche Aussage des Katalenen, der zuletzt gar den am Fließband patzenden Dante in Schutz nahm und sich "tausend Dantes" für seine Mannschaft wünschte.
Im richtigen Moment auf dem Platz sprechen, das gelingt Götze derzeit nicht. Ausgerechnet ihm, dem so bedachten und neutralen Medienprofi, der normal auf alles eine Antwort hat. Der spätestens seit der WM-Nacht von Rio manchmal mehr Marke als Mensch zu sein scheint und der sich nicht wenig Kritik für seine unnahbare Außendarstellung anhören muss.
Doch die Leistungen sind inkonstant, die Entwicklung stagnierend. Götze sprach nach der Vertragsunterzeichnung vom überragenden Gesamtpaket des FC Bayern. Und vom großen Potenzial der Zusammenarbeit mit Coach Guardiola. Doch mittlerweile werden sogar Stimmen laut, der Schritt aus dem Ruhrpott in die bayerische Landeshauptstadt wäre ein bisschen zu groß gewesen für das einst begehrteste Talent Europas.
"Nach fast zwei Jahren in München muss man sagen", holte Lothar Matthäus kürzlich in der Sport Bild zur Weltmeisterschelte aus, sei der Wechsel zum FC Bayern "zu früh gekommen für Götze". Auch BVB-Ikone Jürgen Kohler meldete sich zu Wort. Die "Spielfreude durch die herausragenden Aktionen" würden dem 49-Jährigen fehlen, für den Götze beim BVB gar der bessere Spieler war.
"Es war sehr bitter"
"Man kann sich ja vorstellen, wie man sich fühlt in der Situation", sagte Götze selbst, als er trotz des prall gefüllten Lazaretts gegen seine alte Liebe im Signal Iduna Park nur auf der Bank saß. Es war sehr bitter." Vor allem für jemanden, der nicht müde wird zu betonen, dass er Verantwortung übernehmen will. Und zum "festen Teil des Kerns der Elf" zu gehören will - in Klub und Nationalmannschaft. Davon sogar als eigenem "Anspruch" spricht, den er momentan nicht erfüllen kann.
Zumindest gegen Porto (Di., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) wird Götze aber dabei sein. Wenn es gilt, die Horror-Show aus dem Drachenstadion vergessen zu machen, die die Münchner Saison so nahe an den Abgrund getrieben hat. Doch hängt nicht nur die kurzfristige Zukunft des deutschen Rekordmeisters an den 90, vielleicht 120 Minuten oder mehr in der Allianz Arena.
Auch Götze muss für sich persönlich liefern, schließlich steht seit Kurzem Peps Lieblingsschüler Thiago nach über einem Jahr Abwesenheit parat, den Matthäus schon jetzt in der Zentrale - der Position, auf der sich Götze am wohlsten fühlt - einen meilenweiten Vorsprung attestiert. Götze muss für sich persönlich liefern - nicht, dass ein Präsident des FC Bayern bald eine neue Geschichte erzählen muss.
Mario Götze im Steckbrief