Als Claudio Ranieri seine Fußballschuhe an den Nagel hängte, hatte Diego Maradona in Italien gerade seine Hochphase. 1986 erzielte der Argentinier bei der WM in Mexiko mit seinem Sololauf das Tor des Jahrhunderts, im Jahr darauf holte er den ersten Scudetto nach Neapel.
Das ist inzwischen fast 30 Jahre her. 30 Jahre, in denen Ranieri sich auf sämtlichen Trainerbänken Europas herumtrieb und sein Wissen kontinuierlich ausbaute - bei Valencia, Atletico, Chelsea, Juve, Inter und unzähligen anderen großen Teams Europas, stets auf der Suche nach innovativen Taktiken und neuen Grundausrichtungen.
Nach seinem Engagement als griechischer Nationaltrainer ist der Italiener aktuell vereinslos und strebt nach neuer Inspiration. Diese hat er nun gefunden. Ein Team aus Deutschland hat es ihm mit überfallartigem Fußball angetan. Deshalb fragte Ranieri nach einer Hospitanz bei Bayer Leverkusen. "Ich will mich hier weiterbilden und lernen", erklärte Ranieri.
Es ist die Art, wie Trainer Schmidt spielen lässt, die den Italiener fasziniert. Denn nur aufgrund der Ergebnisse wäre er nicht auf Leverkusen aufmerksam geworden.
Stotterstart in die Rückrunde
Seit der Winterpause stottert der Motor gewaltig. Aus fünf Spielen gab's zuletzt gerade einmal einen einzigen Sieg. Hinzu kam die katastrophale erste Halbzeit gegen Wolfsburg, in der man in 45 Minuten drei Gegentore kassierte und kein Land sah. Und das, obwohl man im Sommer mit rund 30 Millionen Euro so viel Geld wie noch nie in der Vereinshistorie investierte und Platz zwei in Angriff nehmen wollte.
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Diesen Zielen hinkt man weit hinterher. In der Liga steht man aktuell nur auf Rang sechs und droht aus den internationalen Rängen zu fallen. An Platz zwei ist bei 14 Punkten Rückstand aktuell erst gar nicht zu denken.
"Natürlich habe ich Sorge um die europäische Qualifikation", gestand Sportchef Rudi Völler bei "Sky", richtete den Blick jedoch direkt in die Zukunft: "Aber zwischen Platz drei und Platz sechs ist es eng. Da ist noch alles drin."
Schmidt entzaubert?
Der so neue und überfallartige Offensiv-Fußball, der Bayer vor allem zu Beginn der Saison so auszeichnete, scheint von vielen Mannschaften bereits dechiffriert zu sein. Die meisten Teams passten sich an die Spielweise an, sodass die Werkself gezwungen wurde, mehr für das Spiel zu machen.
Seitdem fällt es Bayer noch schwerer, die Balance zwischen Angriff und Abwehr in den Griff zu bekommen. Noch in den ersten Wochen unter Schmidt spielte man offensiv berauschend und traf am laufenden Band. Hinten jedoch setzte es stets ordentlich Gegentore.
Als man letztlich die Defensive unter Kontrolle hatte und kaum Gegentore mehr fing, ging die Gefahr der Offensive flöten. So erzielte man vor dem Wolfsburg-Spiel in acht Partien nicht mehr als ein Tor. Doch seitdem verfällt Bayer wieder in alte Muster. Stellungsfehler und individuelle Probleme spielen dem Gegner zusätzlich in die Karten.
Gegen Augsburg am vergangenen Wochenende hatte man sogar noch Glück, dass Augsburg nach dem 2:2 durch Torhüter Hitz das Spiel nicht noch in letzter Sekunde gewann.
"Eigene Spielphilosophie"
Die Spieler stehen dennoch hinter der Philosophie des Trainer. Das bestätigte zuletzt auch Roberto Hilbert in seiner SPOX-Kolumne."Es ist klar, dass wir eine eigene Spielphilosophie haben, eine andere Art, Fußball zu spielen und es ist klar, dass es immer noch Dinge gibt, die wir verbessern können. Aber wir sind als Mannschaft zu 100 Prozent von unserem System und unserer Art, Fußball zu spielen, überzeugt", so Hilbert.
Zuletzt zeigte sich jedoch auch, dass das Gerüst ins Wanken gerät, wenn einzelne Spieler nicht am Leistungslimit spielen und das laufintensive Spiel nicht mehr mitgehen können. Stefan Kießling, in der letzten Saison noch die zentrale Figur im Bayer-Spiel, und Hakan Calhanoglu stehen beispielsweise seit Wochen neben sich.
"Mir ist nicht entgangen, dass beispielsweise Hakan in den ersten Spielen nach der Winterpause noch nicht diese Lockerheit und Klarheit in seinen Aktionen hatte", erklärte Schmidt.
So wurden Kießling und Calhanoglu nach der desaströsen ersten Halbzeit gegen Wolfsburg zur Pause ausgewechselt. "Jetzt haben andere Spieler gezeigt, was sie können. Die Karten werden neu gemischt", so Schmidt, der Einwechselspieler Brandt und Drmic für die Leistungen belohnte und gegen Augsburg erneut brachte.
Überhasteter Fußball
Auffallend gegen Augsburg war, dass Schmidt erstmals leicht von seiner Taktik-Linie abwich. Statt weiterhin mit voller Offensive zu spielen, stand eine tiefer positionierte und abwartendere Bayer-Elf auf dem Feld. Eine neue Facette im Spiel der Leverkusener, die wahrscheinlich auch für die Zukunft interessant sein könnte.
Vor allem in den Spielen davor schienen die Spieler teilweise übermüdet vom ständigen Vollgas-Fußball unter Schmidt. Getrieben vom Druck, möglichst schnell abschließen zu müssen, wirkten die Aktionen teilweise überhastet und hektisch.
Einige Zahlen sprechen für die These. So steht beispielsweise kein Team der ersten neun Klubs der Tabelle beim Torabschluss schlechter da. Nur 14 Prozent aller Gelegenheiten nutzte die Bayer-Elf. "Ich will es gar nicht schönreden. Wir haben Defizite, vor allem in der Chancenverwertung. Das ist einfach schlecht", erklärte Völler.
Hinzu kommt die verheerende Pass-Statistik der Werkself. Lediglich knapp 70 Prozent der Pässe landen beim Mitspieler - der zweitschlechteste Wert der Liga. "Vielleicht machen wir uns einfach zu viele Gedanken und wollen zu viel", versuchte Heung-Min Son eine Erklärung zu liefern. "Dadurch verkrampfen wir, geraten in Stress. Das müssen wir schleunigst abschütteln und uns wieder auf unser Spiel besinnen. Ich weiß, welche Qualität wir haben. Die ist besser als das, was wir zeigen".
Anfälligkeit bei Standards
Ein weiteres Problem der Werkelf wird gegen Ateltico erneut auf die Probe gestellt werden. Speziell vor der Winterpause präsentierte sich Bayer defensiv aus dem Spiel heraus zwar stark, zeigte sich jedoch bei Standards mehr als anfällig.
So entstanden alle acht Gegentore, die Bayer zwischen dem 8. und dem 20. Spieltag kassierte, nach einem ruhenden Ball. Mit Atletico kommt nun das bei Standards gefährlichste Team in ganz Europa.
Atleticos Standards in der Analyse: Wenn der Strafraum brennt
Dass Bayer sowohl offensiv als auch defensiv in der Lage ist, guten Fußball zu spielen, zeigte das Teams bereits häufiger in dieser Saison. Auch wenn man die Leverkusener Situation weniger en detail betrachtet, fällt die Bewertung deutlich positiver aus. In der Champions League und im DFB-Pokal steht man im Achtelfinale, in der Liga ist Platz drei in Reichweite.
Auch deshalb steht eine Trainerdiskussion unter dem Bayer-Kreuz aktuell nicht an.
"Ohne Roger Schmidt schmeicheln zu wollen, aber wir sind froh, dass wir ihn hier haben", stellte Völler klar. "Dass wir Roger Schmidt geholt haben, hat ja auch Gründe gehabt. Weil wir ein Konzept haben, um mit diesem Trainer unsere Ziele zu erreichen und auch fußballerisch zu glänzen. Man muss einfach von diesen Dingen überzeugt sein - und wir sind davon überzeugt." Das sieht auch ein ganz erfahrener Trainer so: Claudio Ranieri.
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