Von der "Zukunft des HSV" sprach Ruud van Nistelrooy einst, als man ihn nach Heung-Min Son befragte. "An ihm wird der HSV viel Spaß haben. Er ist jung, hat einen guten Kopf und macht mit 18 Jahren schon entscheidende Dinger in der Bundesliga."
Vier Jahre sind seitdem vergangen. Der Niederländer hat seine Karriere beendet, Heung-Min Son den Hamburger SV verlassen. Viel ist passiert, viel hat sich geändert. Der Südkoreaner ist inzwischen 22 Jahre alt und macht die entscheidenden Dinger in der Champions League. So wie beim 2:1-Sieg in St. Petersburg, als er mit einem Doppelpack den Einzug ins Achtelfinale so gut wie sicherstellte.
Nicht mit dem HSV, aber mit Bayer Leverkusen. Ein Zeichen für den Fortschritt, den Son gemacht hat - eines von vielen. Lange hatten ihn Fans und Medien nur unter ferner liefen auf dem Zettel. Die neue Spielweise unter Roger Schmidt, der schnelle Aufstieg von Karim Bellarabi und Tin Jedvaj machten ihm interne Konkurrenz.
Bester Torschütze Leverkusens
Nach dem 12. Spieltag der Bundesliga ist Son aber Toptorjäger der Werkself. Fünf Stück hat er in dieser Liga-Saison schon gemacht, weitere sollen folgen. Mit wettbewerbsübergreifend elf Toren ist er der erfolgreichste aller Spieler aus Deutschland. Schon "nach einem Training" sah van Nistelrooy damals das Potenzial seines jungen Mitspielers. In Leverkusen hat es etwas gebraucht, bis man es nicht nur gesehen hatte, sondern auch zu nutzen wusste.
In seiner ersten Saison bei Bayer schickten ihn Sami Hyypiä und später Sascha Lewandowski als eine Art hängende Spitze auf den Platz. Viel Defensivarbeit, viele lange Wege musste Son für das Team machen. Vorgaben, die ihm nicht so recht schmeckten. Direkte Torbeteiligungen waren selten, kaum ein Spiel machte er über die volle Spielzeit.
Am Umfang der Defensivarbeit hat sich nichts geändert unter Schmidt. Der Sturm rund um Stefan Kießling, Bellarabi und Son ist nicht nur erster, sondern meist auch wichtigster Verteidiger. Das Anlaufverhalten lenkt den Spielaufbau des Gegners und damit auch das Angriffspressing der Werkself. Den großen Unterschied macht die Intensität.
Weniger Laufarbeit, mehr Gefahr
Die Wege sind kürzer, aber intensiver geworden für Son. Das entspricht mehr seinem Profil des gedankenschnellen Stürmers. Er macht noch immer viele Meter, diese aber merklich sinnvoller, direkter und mit mehr Torgefahr und ragt hierbei aus dem Rest des Teams heraus. Mit Abstand am meisten Sprints sammelte Son im internen Teamranking gegen Hannover 96, noch deutlicher fiel der Abstand bei den Läufen in erhöhtem Tempo aus.
94 derer waren es verteilt über die 90 Minuten. Die Nachfolger: Hakan Calhanoglu und Lars Bender mit 75, respektive 69 merklichen Temposteigerungen. Die Folge dessen macht sich schnell in den Statistiken bemerkbar.
Son muss weniger laufen, kann sich mehr auf sein Spiel konzentrieren und wird dadurch nahezu unersetzbar für das Team von Roger Schmidt. 23 Tore und neun Vorlagen hat er insgesamt für Leverkusen gesammelt sowie alleine in dieser Saison schon 13 direkte Torbeteiligungen zu verzeichnen. Beidfüßig sucht er den Abschluss, von der einstigen Linkslastigkeit ist nichts mehr zu sehen.
Eine Frage der Effektivität
Es ist eine Frage der Effektivität, die den Südkoreaner von seiner Zeit in Hamburg abhebt. "Er wird sich noch weiterentwickeln", hatte van Nistelrooy angekündigt und gleichzeitig gedroht: "Wenn er es mal nicht macht, dann werde ich es ihm sagen." Zu meckern dürfte er im Moment nur wenig haben. Son findet sich auch in unübersichtlichen, engen Spielsituationen nach erfolgreichem Pressing zurecht und überzeugt in Entscheidungsfindung wie Raumgefühl.
HSV-Trainer Rodolfo Cardoso bemängelte bei ihm einst die taktische Ausbildung. Technisch sei er nahe an der Perfektion, könne aber noch mental zulegen. Die Psyche bildet nun das Grundgerüst, auf dem Son aufbaut und zu einem der besten Spieler der Bundesliga gereift ist. Harte Arbeit, die sich bezahlt macht. Als er sich 2010 den Mittelfuß brach, übte er mit eingegipstem Fuß und Krücken weiter.
Vom Top-Talent zu Sonaldo
Eine Einstellung, die er mit seinem Idol gemein hat. Immer besser werden, immer noch einen drauflegen und nach jeder Verletzung stärker zurückkehren. In der Mannschaft wird er "Sonaldo" gerufen - "weil Cristiano Ronaldo mein Vorbild ist", erklärte er gegenüber der "Bild" nach dem Spiel gegen Zenit St. Petersburg. "Weltklasse" nannte ihn Mitspieler Bernd Leno da.
Zur absoluten Spitze fehlt es aber doch noch ein wenig. "Ich fühle mich nicht als Held. Die ganze Mannschaft ist ein Held", gab er selbst im Anschluss an das Spiel zu Protokoll. Es passt zu seinem bescheidenen Charakter, der immer ein wenig an den jungen, 18-jährigen Son erinnert, als er noch beim HSV spielte. Immer mit einem Grinsen im Gesicht, mit viel Spielfreude und Leidenschaft. Hört oder liest man Interviews fällt alle paar Sätze das Wort "Spaß" und eben den hat Son in Leverkusen gefunden.
Einmalige Chance gegen Monaco
Das attraktive, offensive Spiel tut ihm gut und hat aus dem Stürmer einen besseren Spieler gemacht. Mit 22 Jahren hat er weit über 100 Spiele in der Bundesliga absolviert, ist abgekochter und cooler geworden, ohne seine Einstellung zur steten Verbesserung zu verlieren. Er hat ein neues Level erreicht, wenn man so will. Vom Top-Talent zum Gamechanger.
Als er von Hamburg nach Leverkusen wechselte, sprach Son von der "größten Herausforderung" Champions League. Ein Sieg gegen den AS Monaco und die Werkself steht an Platz eins in einer Gruppe mit Zenit, Benfica Lissabon und eben jenen Monegassen und damit auch im Achtelfinale der Königsklasse. Son wird alles dafür geben, dass es soweit kommt. Dann wäre nochmal ein ganz neues Level drin.
Heung-Min Son im Steckbrief