Am schlimmsten muss für Rinat Achmetow das Gefühl sein, die Dinge nicht mehr spielend leicht in der Hand zu halten. Mehr als 20 Jahren ging es für den mächtigsten Oligarchen der Ukraine nur bergauf. Der Sohn eines Bergmanns und einer Verkäuferin wurde wie einige andere auch nach dem Zerfall der UdSSR zu einem milliardenschweren Patron auf.
Im Laufe der Jahre hat sich Achmetows Firmengeflecht ausgebreitet wie eine Krake, der ehemalige Profiboxer kontrolliert die Stahlindustrie und den Kohleabbau, besitzt eine der größten Banken des Landes und hat über diverse Holding-Gesellschaften seine Finger im Landwirtschaftsbau, dem Transport- und Immobilienwesen.
Und als besonders schillernder Oligarch besitzt Achmetow selbstredend auch einen Fußballverein. Als der 47-Jährige vor 18 Jahren bei Schachtjor Donezk einstieg, dümpelte der Klub vor sich hin. Die großzügige Subventionierung Achmetows machte aus der grauen Maus der Donbass-Region recht schnell eine nationale Hausnummer, in den letzten zehn Jahren holte Schachtjor lediglich zweimal nicht die ukrainische Meisterschaft.
CL-Power-Ranking: Wo liegt Schachtjor Donezk?
Bisher lief vieles nach Plan
Achmetow stampfte in der Bergarbeiter-Stadt ein Stadion aus dem Boden, das der UEFA in ihrer Bewertung gleich fünf Sterne abrang - obwohl der europäische Verband in seiner Klassifizierung eigentlich nur vier Sterne als höchste Auszeichnung kennt. Sukzessive wurde die Mannschaft aufgerüstet mit jeder Menge überteuert eingekaufter Ausländer, teilweise hatte Donezk mehr als ein Dutzend Südamerikaner im Kader.
Achmetow rief selbst einen Fanklub ins Leben, der sich anders als andere in ukrainischen Stadien organisiert und vergleichbar mit einer Ultra-Bewegung für Stimmung sorgt. Die heimische Liga sollte nur eine Zwischenstation sein auf dem Weg in die europäische Spitze, Achmetows Ziel war vom ersten Tag an die Champions League.
Mit dem Triumph im UEFA-Cup vor fünf Jahren haben die Orange-Schwarzen in Europa auf sich aufmerksam gemacht. Seitdem stagniert die Entwicklung zwar ein wenig, ein Dauergast in der Königsklasse bleiben die Orange-Schwarzen aber dennoch. Bis vor einem halben Jahr ging alles seinen gewohnten Gang. Wenngleich das undurchsichtige Geschäftsgebaren des Mäzens stets Anlass zu Zweifel und Gerüchten gab.
Vorübergehende Spielerflucht
Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Ukraine seit dem Euromaidan und dem Beginn der Kriegshandlungen in der Donbass-Region im Osten des Landes stellen einen tiefen Einschnitt für Schachtjor Donezk dar.
Mitte August wurde die Donbass-Arena bei heftigen Gefechten zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten beschädigt. Zwei Einschläge hatten das Stadion und ein nahegelegenes Elektrizitätswerk getroffen, Klub-Präsident Sergej Palkin musste noch am selben Tag unter Tränen einräumen, dass an Sportveranstaltungen unter diese Umständen in der Donbas-Arena bis auf weiteres nicht zu denken sei.
Wenige Wochen davor hatten sich sechs Profis nach einem Testspiel gegen Olympique Lyon in Ostfrankreich abgesetzt. Kurz vor dem Rückflug nach Donezk seien die Spieler, allesamt Ausländer, verschwunden, ohne sich abzumelden. "Wir fürchten bei einer Rückkehr um unser Leben", ließ die Gruppe verlauten.
Auch der Argentinier Sebastian Blanco von Matelist Charkow verweigerte Mitte Juli die Rückkehr in die Ukraine nach dem Trainingslager seines Klubs in Österreich. "Nach dem Absturz des malaysischen Flugzeugs sehe ich keinen Anlass, in die Ukraine zu fliegen", wurde Blanco bei "R-Sport" zitiert. "Die Situation dort ist alles andere als normal. Ich werde vorerst in Buenos Aires bleiben."
Ebbe auf dem Transfermarkt
Die Agenten und Berater der Spieler standen in diesem Sommer Schlange bei den Verantwortlichen der Klubs. Fast alle wollten ihre Klienten heraushaben aus den Krisenregionen im Osten des Landes.
"Geschafft" hat es bei Schachtjor immerhin Facundo Ferreyra: Der Argentinier, einer der sechs Abtrünnigen, die nach wenigen Tagen dann doch wieder nach Donezk zurückgekehrt waren, wurde Mitte August für ein Jahr an Newcastle United ausgeliehen.
Überhaupt bewegte der ukrainische Transfermarkt in diesem Sommer nicht wie gewohnt eine dreistellige Millionensumme. Lediglich für acht Millionen Euro wurden Spieler aus dem Ausland gekauft, den Großteil aller Transferbewegungen stellten Leihgeschäfte dar. Vornehmlich von Klubs aus Osten an Vereine aus dem Westen des Landes.
Schachtjor investierte zwölf Millionen Euro für zwei Basilianer, die von Metalist Charkow kamen. Ein Jahr davor waren es noch knapp 70 Millionen Euro. Dem Klub sind die Hände gebunden, im Moment stößt die finanzielle Kaufkraft an ihre Grenzen und auf einen neuen, unüberwindbaren Gegner.
Vorgegaukelte Einigkeit
Die Klubs standen für ihre Mäzene und Besitzer immer auch als Symbol für den Machterhalt in der jeweiligen Region. Die Ukraine war allenfalls auf dem Papier ein von Kiew aus zentral geführtes Land, in Wirklichkeit hatten die Oligarchen die Zügel in der Hand. Sie bestimmten das tägliche Leben, zu dem sich der Fußball als Ablenkung von den Problemen des Alltags gesellte.
Dass die heimische Premier-Liha trotz aller Sicherheitsbedenken Ende Juli ihren Betrieb aufnahm, geschah auch auf Druck der Mächtigen des Landes. Jener Menschen, gegen die sich die Proteste des Euromaidan ursprünglich gerichtet hatten. Der die Selbstbedienungsmentalität der Oberschicht und die Korruption attackierte.
Der Fußball in der Ukraine ist eine Parallelwelt: Aufrechterhalten zum Schein, um den Menschen so etwas wie Beständigkeit und Unerschütterlichkeit vorzugaukeln. Brot und Spiele für das Volk.
"Die Meisterschaftsspiele sind ein Sinnbild der Einheit der Ukraine", behauptet Oleg Sinjutka, Bürgermeister von Lwiw. Sinjutka hat leicht reden, schließlich ist seine Stadt zu so etwas wie der fußballerischen Hauptstadt des Landes aufgestiegen: Neben Schachtjor haben auch Metalurg und Olimpik Donezk ihre Zelte in Lemberg aufgeschlagen.
Drei Krim-Klubs sind ausgegliedert
Dass drei Klubs von der Bildfläche verschwunden sind, stört offenbar niemanden. Nach der Annexion der Krim spielen die beiden Klubs Tawrija Simferopol und FK Sewastopol, der inzwischen SKChF Sewastopol heißt, nun in der dritten russischen Liga. Semtschuschina Jalta hat bereits in der ersten Runde des russischen Pokalwettbewerbs gespielt.
Paragraph 84 der FIFA-Richtlinien sieht bei einem Verbandswechsel von Klubs die Zustimmung beider Nationalverbände sowie der FIFA vor. Der Weltverband hat bisher aber ebenso nicht zugestimmt wie die UEFA, der ukrainische Verband hat zwar heftig protestiert - wurde aber bisher von keiner Instanz erhört.
"Illegal und willkürlich" habe der russische Verband "die Klubs von der Krim eingegliedert", heißt es in einem Komunique des ukrainischen Verbands an die FIFA. "Die Krim ist Teil des ukrainischen Territoriums und damit auch alle Belange des Fußballs auf der Krim."
Die FIFA und die UEFA schieben das Problem vor sich her, ohne eine klare Stellungnahme zu formulieren. Offenbar hat man sogar in den Zentralen der Fußball-Macht großen Respekt davor, einen Präzedenzfall zu schaffen.
Champions League vor halbleeren Rängen?
Das ganz spezielle Problem für die Klubs aus Donezk besteht nun darin, dass in der Stadt beim besten Willen nicht an eine gesicherte Durchführung sportlicher Großereignisse zu denken ist. Deshalb hat Schachtjor seine Spieler längst aus Donezk abgezogen und nach Kiew verpflanzt. Hier wird trainiert, die Heimspiele sind ins rund 1000 Kilometer fern der Heimat gelegene Lwiw übersiedelt worden. In zwei Wochen wird der FC Porto die erste Mannschaft sein, die in der Königsklasse gegen Donezk in Lwiwi gastiert.
In der ukrainischen Liga funktioniert das mit den Heimspielen am anderen Ende des Landes noch nicht so prickelnd. Rund 5000 Zuschauer besuchten bisher im Schnitt die Spiele von Schachtjor, der Klub aus der Ost-Ukraine wird im Westen nur schleppend als Attraktion angenommen. In der Donbass-Arena waren es stets weit über 30.000, in der Königsklasse war das Stadion permanent mit 47.000 Fans ausverkauft.
"Natürlich mögen die Fans hier in der Stadt Karpaty lieber als uns. Dennoch hoffen wir, dass sie zu unseren Spielen kommen", sagt Trainer Mircea Lucescu. Einen Teil der eigenen Zuschauer karrt der Klubs stark subventioniert selbst quer durchs Land, dazu gibt es die Tickets für die Heimspiele für 90 Cent. Geholfen hat das bisher kaum und in der Königsklasse sind derart niedrige Eintrittspreise undenkbar.
Die UEFA wird es mit Grauen sehen, wenn demnächst unter Umständen zwei Drittel des Stadions in Lemberg leer bleiben. Das würde so gar nicht zum Hochglanzprodukt Champions League passen. Vielleicht würde es eine große Öffentlichkeit aber auf einige Missstände aufmerksam machen.
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