SPOX: Nach einem Abstecher zum 1. FC Nürnberg beendeten Sie im Jahr 2000 Ihre Karriere und begannen ein Lehramtsstudium an der Universität Dortmund. Am 1. Februar 2009 starteten Sie offiziell in den Schuldienst. Wie einfach wäre es denn für Sie als Ex-Profi gewesen, im Fußballgeschäft zu bleiben?
Reinhardt: Das ist schwerer, als es sich zunächst anhören mag. Die Profivereine sind ja keine Sportvereine mehr wie noch vor 20 Jahren, sondern richtige Wirtschaftsunternehmen. Da braucht man schon eine gewisse Qualifikation, um dort einzusteigen. Ich hatte damals Kontakt zum BVB, die Gespräche waren aber nicht so konkret, dass es schon um eine genaue Funktion ging.
SPOX: Die Idee, als Ex-Profi ein Studium zu beginnen, ist dennoch sehr ungewöhnlich. Wieso haben Sie diesen Weg eingeschlagen?
Reinhardt: Ich wollte etwas machen, das mich ausfüllt und glücklich macht. In meinem letzten Karrierejahr habe ich trotz meiner Verletzungen noch einmal versucht, im Leistungssport zu bleiben. Mein Körper hat mir aber signalisiert, dass das nicht mehr möglich sein wird. Somit musste ich mir etwas Neues suchen und hatte Zeit, mir genügend Gedanken zu machen. Ich hatte auch das Glück, dass ich neben meinen Eltern auch viele Freunde besitze, die mich beraten haben. Heute bin ich wirklich froh, dass ich die Entscheidung getroffen habe, in den Lehrerberuf einzusteigen.
SPOX: Hatten Sie von der sterilen Fußballbranche auf gewisse Weise auch einfach die Schnauze voll?
Reinhardt: Es ist schon eine Glitzer- oder Traumwelt. Für mich ist das aber längst eine Schein-Welt. Als Profifußballer lebt man, gerade heute noch sehr viel mehr, in ganz anderen Sphären als wir es damals taten. Es ist sehr schwierig, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, wenn man diese Welt einmal verlassen hat oder verlassen muss. Man glaubt, man hat eine gewisse Position erreicht, doch in Wirklichkeit hat man gar keine erreicht. Daran scheitern auch viele Existenzen. Das ist der Preis, den der Beruf mit sich bringt. Erst recht in dieser Zeit, in der die Medien überall sind, die Spieler keine Privatsphäre mehr haben und es sich nicht erlauben können, auch mal etwas Blödsinn zu treiben.
SPOX: Was hat Ihnen persönlich an diesem Konstrukt nicht mehr gefallen?
Reinhardt: Es ist so viel bis ins letzte Detail kommerzialisiert. Als ich aufgehört habe, haben sich viele Leute von mir abgewandt, die mich eigentlich nur als Fußballspieler gesehen haben. Da werden plötzlich zwischenmenschliche Störungen sichtbar, die zuvor im Verborgenen lagen.
SPOX: Wie hat Ihr persönliches Umfeld denn eigentlich reagiert, als Sie sich für das Lehramtsstudium entschieden haben?
Reinhardt: Die haben natürlich erst mal lachen müssen und sich gedacht: ‚Was macht der denn jetzt da?' Es ist auch anormal. Die meisten, die aus dem Sport kommen, bleiben ja auch dort. Mich hätte es aber nicht weitergebracht, wenn ich noch ein oder zwei Jahre gespielt hätte.
SPOX: Wie fällt jetzt mit etwas Abstand dazu Ihr Fazit des Studiums aus?
Reinhardt: Es war natürlich alles andere als einfach. Gerade in der Hinsicht, dass ich quasi aus dem Nichts ein Ziel anvisiert habe, das inklusive Referendariat sieben Jahre entfernt ist. Das Studium hat mich viel Geld gekostet, daneben habe ich eine Familie mit vier Kindern. Das war eine harte Zeit, in der mir ehrlich gesagt auch ein paar Mal die Tränen über das Gesicht gelaufen sind.
SPOX: Wie schwer war es, sich plötzlich wieder ans Lernen zu gewöhnen?
Reinhardt: Auch das war nicht einfach, ich war nervlich oft am Ende. Nachts, wenn die Kleinen im Bett waren, habe ich die Bücher rausgeholt und gepaukt. Ich wollte anfangs am Ende eines Semesters acht Klausuren schreiben, um zügig voran zu kommen. Letztlich habe ich vier geschafft und mir den Mut zur Lücke angeeignet, weil mir die Zeit einfach gefehlt hat (lacht).
SPOX: Sie haben an der Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund ein Praktikum sowie das Referendariat absolviert und sind dort nun sozusagen der prominenteste Lehrer. Wie wurden Sie in der Anfangszeit von den Kollegen wahrgenommen? Sie standen ja doch oft im Mittelpunkt.
Reinhardt: Ich kann ja nichts dafür, dass ich schon ein Leben vor dem Lehrerberuf hatte. Es gibt immer mal wieder Anfragen von Medien, da Fußball einfach ein Thema und mein Werdegang eher ungewöhnlich ist. Das tut mir auch Leid gegenüber den Kollegen und Kolleginnen, die allesamt richtig tolle Arbeit abliefern und nicht so sehr im Blickpunkt stehen. Das habe ich eigentlich nicht so gerne. Mittlerweile wissen die Kollegen aber, dass das nicht von meiner Seite provoziert wird.
SPOX: Die Grundschule befindet sich in der Dortmunder Nordstadt, einem sozialen Brennpunkt und auch ein Ort, den manche Ihrer Berufskollegen wohl eher meiden würden. Wieso haben Sie sich freiwillig dafür entschieden?
Reinhardt: Zur Veranschaulichung: In Dortmund leben 70 Prozent der Kinder im Norden. Dort herrscht eine Arbeitslosenquote von 20 bis 25 Prozent. Wir haben an unserer Schule 83 Prozent Ausländerquote und bringen 27 verschiedene Nationen unter einen Hut. Es ist für mich nicht schlimm, unter diesen Umständen zu arbeiten. Im Gegenteil: Ich habe mich damals für diese Schule entschieden, da ich während meiner Ausbildung gesehen habe, wie dort gearbeitet wird.
SPOX: Wie?
Reinhardt: Wir haben keine Bücher, wir bereiten im Team den Unterricht vor und jeder kann sich mit seinen Stärken einbringen. Die vielen Kulturen bringen auch sehr viel Gutes mit in unsere Gemeinschaft. Es ist eine immens große Aufgabe, die Kinder stark zu machen und auf das Leben vorzubereiten. Es kommt einfach etwas bei rum. Stand heute bin ich einfach froh, sagen zu können, dass ich einen Super-Beruf habe, der mich glücklich macht. Wir sind an der Schule wie ein Fußballverein, arbeiten im Team und so kann ich gewisse Werte aus meiner Fußballerzeit auch in den schulischen Alltag mitnehmen.
SPOX: 13 Jahre nach Ihrem Karriereende: Wie sehr unterscheiden sich die Werte Ihres aktuellen von dem ehemaligen Leben als Fußballprofi?
Reinhardt: Da gibt es schon große Diskrepanzen. Man ist innerhalb des Universums, im dem man sich als Fußballer aufhält, 24 Stunden Profikicker. Es gibt darin einige Dinge, die sehr wichtig erscheinen, für das eigentliche Leben jedoch völlig unwichtig sind.
SPOX: Nennen Sie bitte einmal ein Beispiel.
Reinhardt: Nun ja, ob die Minibar auf dem Hotelzimmer im Trainingslager knarrt oder nicht oder ein bestimmtes Fernsehprogramm im TV fehlt, darüber hat man sich früher schon deutlich eher aufgeregt (lacht).
SPOX: Sie treten in Ihrer Freizeit aber schon noch selbst ab und an gegen den Ball, oder?
Reinhardt: Ich würde es gerne tun, aber ich habe mir vor zwei Jahren beim Badminton einen Kreuzbandriss zugezogen. Seitdem beschränkt sich das auf meine Tätigkeit als D-Jugendtrainer beim Hombrucher SV, einem kleinen Dortmunder Vorortklub. Dort spielt auch mein Sohn.
SPOX: Haben Sie ihm die linke Klebe vererbt?
Reinhardt: Er ist in jedem Fall schon mal Linksfuß und ich finde, er hat auch viel Talent. Wenn ich wüsste, dass er mal Fußballprofi wird, würde ich den Lehrerberuf sofort an den Nagel hängen (lacht).
Knut Reinhardt im Steckbrief