Zwölf Siege aus 17 Spielen, ein Dreier in Dortmund und ein Remis gegen den Rekordmeister - die Werkself war in der Hinrunde der vergangenen Spielzeit drauf und dran, sich als Bayern-Jäger Nummer eins zu etablieren.
Doch der Ruf, dass es für ganz oben eben doch nicht reicht, holte die Werkself zur Rückrunde schneller ein, als gedacht. Mit der 1:2-Heimpleite gegen Schalke begann es, von da an holten die Leverkusener in neun Spielen bis zum 29. Spieltag fünf mickrige Pünktchen. Die großen Ambitionen waren dahin, am Ende musste man nicht nur den BVB sondern auch die Schalker in der Tabelle passieren lassen.
Platz vier und der Umweg über die Qualifikation in die Champions League statt Vizemeisterschaft standen zu Buche. Ein keineswegs schlechtes, aber für die eigenen Ansprüche unbefriedigendes Ergebnis - das in der kommenden Spielzeit verbessert werden soll.
Das ist neu:
Die Liste der Abgänge der Leverkusener ist lang, ins Gewicht fielen vor allem die Wechsel von Sydney Sam zum direkten Rivalen Schalke und Emre Cans überraschender Abflug Richtung Liverpool. Kopfzerbrechen bereitete das den Offiziellen dank der eigenen klugen Aktivitäten auf dem Transfermarkt allerdings nicht.
Sportdirektor Rudi Völler macht mittlerweile sogar den "in der Breite besten Kader, den wir je hatten" aus. Widersprechen will man ihm nicht, so kamen neben den Talenten Tin Jedvaj (18, Leihe vom AS Rom) und Vladlen Yurchenko (20, Schachtjor Donezk) mit Josip Drmic vom Club und Ex-Hamburger Hakan Calhanoglu zwei der größten Shooting-Stars der vergangenen Spielzeit an den Rhein.
Die Baustelle auf der linken Abwehrseite wurde mit dem Brasilianer Wendell (Gremio) geschlossen, für die Innenverteidigung schnappte sich Bayer Schalkes Kyriakos Papadopoulos auf Leihbasis. Mit Karim Bellarabi kommt zudem ein Offensivallrounder nach einer starken Saison für Braunschweig zurück.
Der vielleicht wichtigste Neuzugang wird dagegen gar nicht auf dem Platz stehen. Für Coach Roger Schmidt zahlten die Verantwortlichen sogar eine Ablöse an seinen ehemaligen Arbeitgeber Red Bull Salzburg, wo er zwei Jahre lang mit den Bullen für Aufsehen sorgte.
Es war der ausdrückliche Wunsch der Vereinsführung, einen Coach mit neuem "Konzept und Spielidee" zu holen, so Völler. Der 47-Jährige sei die Idealbesetzung heißt es aus der Führungsriege.
Die Taktik:
Schmidt hat eine klare Vorstellung von seinem Fußball, die vom Team "bisher gut angenommen und umgesetzt wurde, sowohl in den Trainingseinheiten als auch in den Spielen", wie der Coach während der Vorbereitung im "Kicker" attestierte.
Dabei scheint es eine Abkehr vom in der letzten Saison oftmals aufgestellten Dreiermittelfeld zu geben. In den meisten Tests schickte Schmidt nur zwei defensive Mittelfeldspieler aufs Feld, Kapitän Simon Rolfes und Lars Bender dürften auf jeden Fall gesetzt sein.
Einen Stammplatz wird trotz Neuzugang Drmic auch Stefan Kießling haben, der im ersten Pflichtspiel im DFB-Pokal gegen Waldalgesheim satte fünf Tore beim 6:0-Sieg machte. Gegen den Landesligisten verschob sich die offensive Dreier-Reihe hinter Kießling, indem der nominelle Zehner Hakan Calhanoglu fast schon eine zweite Spitze gab. Ein "echtes" 4-4-2 wurde in den Vorbereitungsspielen auch von Zeit zu Zeit eingesetzt - und scheint für Schmidt eine Alternative zu sein.
Doch egal welches System, Schmidt fordert von seinen Schützlingen in erster Linie ein schnelles und aggressives Spiel. Nach hinten, wie nach vorne. "Es gibt keinen ruhigen Fußball mehr. Entweder wir haben den Ball und versuchen, schnell nach vorne zu spielen. Oder der Gegner hat den Ball, und wir versuchen schnell zu attackieren", so der 47-Jährige. "In jedem Fall sind die Spieler gefordert, sich sofort auf eine neue Situation einzustellen und darauf zu reagieren."
Überfallartiges Pressing war das Markenzeichen von Salzburg unter seiner Federführung, diesen Aspekt will Schmidt auch in Leverkusen etablieren. "Torwart und Innenverteidiger der anderen Mannschaften sind Spieler, die es nicht gewohnt sind, dass sie attackiert werden. Sie weisen unter Druck die höchste Fehlerquote auf. Wo ist der Sinn, sie in Ruhe zu lassen?"
In der Vierer-Abwehrkette dürften Wendell links und Donati rechts als Außenverteidiger ihren Startplatz haben, auch Vize-Kapitän Ömer Toprak ist innen gesetzt. Neben ihm werden Papdopoulos und Emir Spahic um die vakante zweite Innenverteidiger-Position konkurrieren. Der Neuzugang aus Schalke könnte dabei die Nase etwas vorne haben.
Der Spieler im Fokus:
Es war schon fast hollywoodreif, wie sich die Wechselposse um Hakan Calhanoglu entwickelte. Noch im Winter hatte der Deutsch-Türke seinen Vertrag in Hamburg vorzeitig bis 2018 verlängert. "Ich möchte noch lange für den Verein in der Bundesliga spielen und in den kommenden Jahren zu einem festen Bestandteil werden", waren seine Worte - viel dahinter war augenscheinlich nicht.
Im Sommer klopfte unter anderem Leverkusen beim Türken an, beide Seiten forcierten einen Wechsel in der Öffentlichkeit. Es folgten Anfeindungen der eigenen Fans beim HSV, eine dubiose Krankschreibung und viel öffentliches Theater. Der HSV gab schließlich nach und ließ seinen größten Star ziehen, kassierte dafür immerhin noch 14,5 Millionen Euro.
Soviel schlechtes Licht die Posse auf den 20-Jährigen auch geworfen hat, sein fußballerisches Ausnahmetalent bleibt unbestritten. Ob er das Spiel eines CL-Kandidaten in jungen Jahren auch schon prägen kann, muss Calhanoglu jetzt beweisen.
Vom Neuzugang wird bei der Werkself viel erwartet. Eine Haltung, die jedoch zu seinen eigenen Zielen durchaus passt. So tönte der Deutsch-Türke nach seinem Transfer: "Mag sein, dass fast alle zum FC Bayern wollen. Aber für mich steht Leverkusen auf Augenhöhe mit dem FC Bayern."
Hakan Calhanoglus Statistiken 2013/2014
Die Prognose:
So euphorisch Calhanoglu über seinen neuen Arbeitgeber ist, auf Augenhöhe mit den Münchner ist die Werkself auf keinen Fall. Auch der BVB stellt den nominell besseren Kader, ansonsten muss sich die Werkself aber vor keinem Bundesligisten verstecken.
Viel wird von Coach Schmidt abhängen, ob er die hochtalentierten Spieler zu einer taktisch wie fußballerisch funktionierenden Einheit formen kann. Die Leverkusener haben sich klug verstärkt, personell mangelt es dem neuen Coach nicht.
Die Baustellen in der Abwehr sind behoben, in der Offensive ist man auf jeder Position doppelt besetzt und kann fast ohne Qualitätsverlust rotieren. Hinzukommen mit Julian Brandt und Levin Öztunali zwei der größten Nachwuchstalente des Landes.Platz drei und die damit verbundene direkte Champions-League-Qualifikation ist für die Werkself realistisch und muss das Mindestziel sein. Erwischen die Leverkusener einen vergleichbaren Saisonstart wie letztes Jahr, ist mit etwas mehr Konstanz vielleicht sogar Platz zwei drin. Für die Meisterschaft wird es aber wohl nicht reichen.
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