Es lief die 71. Spielminute des Bundesligaspiels gegen Eintracht Frankfurt, als sich Leroy Sane mit einem herausragenden Laufweg in den freien Raum bewegte. Den tollen Pass von Joshua Kimmich nahm er mit links mit und verwertete ihn dann mit rechts zum siegbringenden 1:0. Eine Szene für Fußball-Feinschmecker in einem Spiel, das wegen des Münchner Fokus auf eine stabile Defensive ansonsten eher weniger mit der Unterhaltungsbranche zu tun hatte.
Trainer Julian Nagelsmann dürfte eine etwas unauffälligere Bewegung Sanes aber ähnlich gut gefallen haben wie das schöne Tor: Sie trug sich vier Minuten früher zu, Sane lief da beim Stand von 0:0 vom Spielfeldrand auf den Platz. Erstmals seit langem konnte Nagelsmann seiner Mannschaft in einer kniffligen Situation einen entscheidenden Impuls von der Bank geben.
"Es ist gut, wenn der Gegner ein bisschen müder wird, dass man noch etwas nachlegen kann. Das war heute wichtig", analysierte Nagelsmann danach. "In den letzten Spielen war es so, dass wir versucht haben, mit der besten Elf zu spielen. Aber wir hatten von der Bank nicht mehr diese Offensivpower zum Nachlegen."
FC Bayern München und die fehlende Kaderbreite
Zeitweise bot Nagelsmann mit Sane, Kingsley Coman, Serge Gnabry, Thomas Müller und Robert Lewandowski seine fünf besten Offensivspieler gleichzeitig auf. Weil der Kader des FC Bayern eher dünn gehalten und außerdem von einigen Ausfällen geplagt ist, hatte Nagelsmann folgerichtig kaum furchteinflößende Wechseloptionen. Tatsächlich soll der Trainer mit der Kaderbreite etwas unzufrieden sein, angeblich gewünschte Winterneuzugänge wurden ihm verwehrt.
Auf der Bank saßen deshalb "oft zwei, drei Nachwuchsspieler, mehrere Defensivspieler, noch ein Sechser, noch ein Innenverteidiger, noch ein Außenverteidiger", wie der Trainer nach dem Sieg in Frankfurt monierte: "Aber dieser Offensivspieler, der vielleicht den Unterschied bringt, der war in den letzten Spielen nicht auf der Bank."
Als der FC Bayern gegen den VfL Bochum, RB Salzburg und die SpVgg Greuther Fürth in Rückstand geriet, wartete mit Ersatzstürmer Eric Maxim Choupo-Moting stets nur ein etablierter Offensivspieler auf seine Einwechslung.
Serge Gnabry musste gegen Fürth früh aushelfen
Schon gegen Fürth behielt sich Nagelsmann mit Gnabry zwar einen hochkarätigen Offensivspieler in der Hinterhand. Er musste wegen Corentin Tolissos Verletzung aber schon in der Anfangsphase aushelfen. In Frankfurt verzichtete Nagelsmann in der Startelf nun also auf Sane. Diesmal verletzte sich keiner, diesmal ging der Plan auf. Das Konzept will der Trainer beibehalten: "Es wird immer mal wieder einen treffen von den sehr guten Spielern."
In der Startelf standen in Frankfurt dagegen Jamal Musiala und Marcel Sabitzer, bedingt auch durch die Ausfälle des an Corona erkrankten Thomas Müller und des verletzten Tolisso. Während Musiala an seinem 19. Geburtstag ein ansprechendes Comeback nach Corona-Infektion feierte, enttäuschte Sabitzer auch auf seiner Paradeposition im zentralen Mittelfeld.
Selbiges tat der Neuzugang zuvor schon auf der linken Defensiv- und auf der rechten Offensivseite. Im Fokus stand Sabitzer immerhin in der 67. Minute, als er für Joker Sane den Platz verließ.
Leroy Sane: Jokertor nach Abwärtstrend
Dass von den hochkarätigen Offensivspielern zunächst ausgerechnet Sane draußen saß, könnte auch mit dessen zuletzt durchwachsenen Leistungen zu tun gehabt haben. Nach enttäuschendem Saisonstart samt Pfiffen der eigenen Fans befand sich Sane über weite Strecken der Hinrunde in bestechender Form. "Er ist ein ganz anderer Spieler geworden. Er partizipiert ganz anders am Spiel", lobte der ehemalige Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge. "Er musste ein wenig heraus aus seiner Bequemlichkeit. Das, was Anfang dieser Saison passiert ist, mit den Pfiffen der Fans, den Kritiken der Experten, war hilfreich."
Seit Anfang September war Sane aus der Startelf des FC Bayern nicht mehr wegzudenken. Als nomineller Linksaußen zog er immer wieder ins Zentrum, sorgte so für einen Hauch Unberechenbarkeit im Spiel seiner Mannschaft. Lediglich zweimal wurde Sane geschont, bis er sich in der Winterpause das Corona-Virus einfing. Einmal musste er deshalb gänzlich aussetzen, einmal wurde er nur eingewechselt.
Seitdem stand er zwar stets in der Startelf, passte sich mit seinen Leistungen aber dem generellen Abwärtstrend der Mannschaft an - oder passte sich die Mannschaft an Sanes Abwärtstrend an? Über einen Monat lang verzeichnete er jedenfalls keinen Scorerpunkt, ehe ihm in Frankfurt der Befreiungsschlag gelang. Vielleicht bewirkte der Bankplatz nun das, was im vergangenen Sommer die Pfiffe der eigenen Fans ausgelöst hatten: eine Leistungsexplosion.