FC Bayern München ändert seinen Kurs: Warum Kovac jetzt mehr denn je wankt

Von Dennis Melzer, Kerry Hau
Für Niko Kovac wird es beim FC Bayern ungemütlich.
© getty

Der FC Bayern kommt trotz zweifacher Führung gegen Fortuna Düsseldorf nicht über ein 3:3 hinaus. Selbst die größten Außenseiter fürchten sich nicht mehr vor der Reise nach München. Weil Uli Hoeneß seinen Kurs ändert, wird es jetzt auch für Niko Kovac immer brenzliger.

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Mit versteinerter Miene blickte Joshua Kimmich in unzählige wütende Gesichter, regungslos, die Arme in die Hüften gestemmt, ließ er den Zorn von den Rängen, der sich in grellen Pfiffen äußerte, über sich ergehen. Neben ihm setzte Manuel Neuer, ebenfalls ratlos dreinblickend, zum respektbekundenden Applaus an, der aber schüchtern, eher beschwichtigend daherkam.

Während die einen, nämlich die Anhänger des FC Bayern, ihrem Unmut Luft verschafften, spielten sich schräg gegenüber unter dem Dach der Allianz Arena ganz andere Szenen ab. Menschen, die das, was sich zuvor abgespielt hatte, wohl noch nicht realisiert hatten, lagen sich freudetrunken in den Armen, schwenkten Fahnen, sangen sich die Kehlen wund und die Seelen aus dem Leib.

Die Fortuna aus Düsseldorf, Aufsteiger und Tabellen-17. der laufenden Bundesliga-Saison, hatte dem Rekordmeister, dem Dauerdominator der vergangenen Jahre, nach denkwürdigen 90 Minuten einen Punkt abgetrotzt.

3:3 leuchtete es von der Anzeigetafel, unter dem Gästelogo mit weißem F und gleichfarbiger 95 auf rotem Grund tauchte lediglich ein Name auf: Lukebakio. Der belgische Angreifer hatte die Hintermannschaft der Gastgeber gleich dreimal genarrt, alle Treffer für die Rheinländer erzielt, erst zum zwischenzeitlichen 1:2 kurz vor der Pause getroffen und später einen schier aussichtslosen 1:3-Rückstand in den letzten Minuten der Begegnung egalisiert.

FC Bayern zum vierten Mal in Folge zu Hause ohne Sieg

Was auf den ersten Blick wie ein mittelgroßes Fußballwunder anmutet, ist in den vergangenen Wochen aus Sicht der Münchner bittere Normalität geworden: Zum vierten Mal in Folge verließ der FCB das eigene Wohnzimmer nicht als Sieger, dreimal davon brachte man eine Führung nicht über die Zeit, kassierte jeweils den Ausgleich kurz vor Abpfiff. Neben Düsseldorf kamen bereits der FC Augsburg und der SC Freiburg in den Genuss, einen unverhofften Zähler aus der einstigen Festung in Fröttmaning zu entführen.

Kein Wunder also, dass die jeweiligen Gäste, so sehr sie auch Außenseiter sein mögen, sich dieser Tage in der bayrischen Landeshauptstadt rundum wohlfühlen. Michael Rensing, vor einer gefühlten Ewigkeit mal als Nachfolger von Torwart-Titan Oliver Kahn bei den Bayern auserkoren, mittlerweile aber bei Düsseldorf zwischen den Pfosten, machte nach dem Spiel deutlich, dass die beinahe über Dekaden vorherrschenden Naturgesetze derzeit nicht gelten.

In der Vergangenheit habe sich nur die Frage gestellt, mit wie vielen Toren Unterschied die Hausherren den zumeist bemitleidenswerten Gegner wieder zurück in die Heimat schießen würden. Sobald die Münchner im eigenen Stadion in Führung gingen, war jedem klar: Dabei bleibt es. "Dieses Gefühl hat man im Moment nicht", erklärte Rensing. Stattdessen bestünde selbst im Falle eines Rückstandes immer noch die Hoffnung, etwas aus der Isarmetropole mitzunehmen.

Leon Goretzka: "Wie ein schlechter Film"

In Anlehnung an das Kinderspiel "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?", könnte man also scherzhaft projizieren: "Wer hat Angst vor der schwarzen Bestie (Ein Spitzname des FC Bayern lautet "bestia negra", Anm. d. Red.)? - "Niemand!"

Nicht mal die mäßig in die Saison gestartete Fortuna. Auf die Frage, warum selbst die vermeintlich Kleinen keine Furcht vor den Bayern verspüren, die Bestie so zahnlos agiert, sagte beispielsweise Arjen Robben nach der Partie in den Katakomben der Arena: "Wir sind selber schuld, dass es so ist. Der Trainer hat uns vorher daran erinnert, dass wir schon mehrfach eine Führung aus der Hand gegeben haben. Und dennoch ist es heute wieder geschehen. Das ist unglaublich."

Thomas Müller, der sich eigentlich schon darauf eingestellt hatte, "heute zufrieden ins Bett zu gehen", weil er seit Anfang September erstmals wieder in einem Ligaspiel getroffen hatte, mutmaßte: "Vielleicht soll es im Moment einfach nicht sein." Er schob nach: "Wir sind schockiert, dass wir schon wieder eine Führung aus der Hand gegeben haben."

Restlos bedient ob der neuerlichen Enttäuschung, zeigte sich auch Mittelfeldmann Leon Goretzka. Der ehemalige Schalker fand kaum Worte für den naiven Auftritt.

"Für mich ist es auch schwierig, die Gründe zu finden. Wir haben schon so oft in dieser Saison geführt und haben am Ende trotzdem nicht gewonnen. Das habe ich so auch noch nicht erlebt." Der Nationalspieler unterstrich die Münchner Ratlosigkeit: "Niemand hat dafür eine Erklärung, das ist beinahe etwas surreal. Mir fehlen aktuell die Worte. Das ist wie ein schlechter Film."

Uli Hoeneß ändert seinen Kurs

Apropos Film: Bayern-Präsident Uli Hoeneß fühlte sich beim ersten Gegentor an einen "Slapstick-Film" erinnert, als Jerome Boateng unglücklich verteidigt hatte. Hoeneß ermunterte die anwesenden Reporter im Zuge seines Rundumschlags sogar, gerne auch kritisch mit den Münchner Spielern in der Analyse umzugehen, weil das Gezeigte "hanebüchen" gewesen sei.

Das war insofern verwunderlich, weil sich Hoeneß noch vor gerade einmal fünf Wochen gemeinsam mit Karl-Heinz Rummenigge im Rahmen einer denkwürdigen Pressekonferenz vor seine Stars gestellt hatte. Rummenigge zitierte dabei sogar den ersten Artikel des Grundgesetzes und drohte den Medien mit rechtlichen Konsequenzen, sollte jemand zu hart mit Boateng und Co. ins Gericht gehen.

Hoeneß rückte am Samstagabend aber nicht nur von seinen Spielern ab. Trainer Niko Kovac, den er zuletzt noch "bis aufs Blut verteidigen" wollte, werde er ebenfalls hinterfragen. "Wir müssen die nächsten Tage und Wochen nutzen, um die richtige Lösung zu finden", sagte Hoeneß, "es ist jetzt wichtig, dass wir Ruhe bewahren, obwohl das sehr schwerfällt, das gebe ich zu." In anderen Worten: Die Luft für Kovac wird immer dünner.

Gästecoach Friedhelm Funkel griff in seiner Analyse dagegen andere Gesichter der Bayern-Krise auf: "Auch der Manuel Neuer ist in dieser Saison nicht ganz so stabil, weil auch die Defensive nicht so stabil ist. Er ist nach wie vor unser bester Torwart in Deutschland. Er kann an den Toren ja nichts machen", sagte Funkel und ergänzte: "Aber in einer guten Phase hält er vielleicht den einen oder anderen, weil er auch ein bisschen glücklicher agiert. Das weiß man jetzt auch. Die Bayern haben 17 Gegentore und das in 12 Spielen. Das haben sie manchmal nach 34 Spielen gehabt. Wenn ich sehe, wie Boateng beim zweiten Tor auf Abseits spielt, mein lieber Mann, das war schon dramatisch."

Düsseldorf nimmt sich Freiburg als Vorbild

Zudem schilderte er, was er sich bei den zuletzt in München ebenfalls erfolgreichen Freiburgern abgeschaut hatte.

"Wir haben am Montag damit angefangen, über Bayern zu sprechen. Normalerweise musst du über Bayern nicht sprechen. Aber wir haben auf die Spiele hingewiesen, gegen Augsburg, Gladbach und Freiburg. Wir haben mit der Einwechslung von Hennings noch gesagt, das hat der SC Freiburg hier ganz genauso gemacht. Die haben in der Schlussphase auch noch einen Stürmer eingewechselt und haben mit dem Abpfiff noch das 1:1 gemacht. Das haben wir immer im Kopf gehabt", so Funkel, der im Anschluss des Spiels ein Dauerlächeln aufgesetzt hatte.

So wie die verdutzten Anhänger von F95, die das Remis feierten, als habe Düsseldorf den Nichtabstieg bereits an diesem 12. Spieltag festgemacht. Und das, obwohl die vergangenen Wochen doch gelehrt haben, dass man vor den Bayern in dieser Verfassung nun wahrlich nicht duckmäuserisch zu Kreuze kriechen muss. Vielmehr hätten sie es doch wissen müssen, dass etwas Zählbares herausspringen dürfte - spätestens als die vormalige Übermacht aus Deutschlands Süden in Führung gegangen war.

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