Gladbachs Patrick Herrmann im Interview: "Psychisch war das eine extrem harte Nummer"

Patrick Herrmann hat mit Borussia Mönchengladbach neben zahlreichen Höhepunkten auch Durchhänger erlebt.
© getty
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SPOX: Einer dieser Meilensteine war Ihre erste Einwechslung in der Bundesliga im Januar 2010. Hatten Sie damals eine Vorahnung, dass Ihr Debüt bevorstehen könnte.

Herrmann: Ich war ja im Kader, deswegen habe ich darauf gehofft. Ich war zu der Zeit mit Fabian Bäcker auf dem Zimmer. Wir kannten uns schon lange, in der A-Jugend hatte ich ihm 100.000 Tore aufgelegt. Am Abend vor dem Bochum-Spiel habe ich ihm noch angekündigt, dass ich ihm eins auflegen werde. Fabi kam dann rein, als es 2:0 für Bochum stand. Kurz danach wurde ich eingewechselt. Plötzlich hatte ich die Kapitänsbinde in der Hand und wusste nicht, wohin damit. Da habe ich ganz schön dumm aus der Wäsche geschaut.

SPOX: ... aber nach wenigen Sekunden haben Sie Ihr Versprechen eingehalten.

Herrmann: Ich habe einfach einen Sprint nach vorne gemacht und Fabi wusste ganz genau, wohin ich den Ball flanken werde. Und er hat ihn tatsächlich reingemacht. Das war ein Riesenerlebnis. Das Interview danach ist mir aber immer noch peinlich.

SPOX: Wieso?

Herrmann: Ich war noch völlig unter Adrenalin. Wir haben das Spiel 2:1 verloren, eigentlich war alles Scheiße, aber ich konnte trotzdem nicht aufhören zu grinsen, weil es mein erstes Spiel war und ich sofort ein Tor vorgelegt habe. Das war nicht ganz passend.

SPOX: Mussten Sie hinterher einen ausgeben oder etwas vorsingen?

Herrmann: Nein, da nicht mehr. Aber als wir erstmals zu den Profis gekommen sind, mussten wir ein Lied trällern. Das muss bis heute jeder machen. Ich habe mit Marc-Andre ter Stegen zusammen "Alle meine Entchen" gesungen. Damit waren die anderen aber nicht zufrieden, deswegen haben wir "Katzeklo" noch hinterhergelegt.

SPOX: Im bereits angesprochenen Youtube-Video haben Sie sich geweigert, die Elf vom Niederrhein zu singen.

Herrmann: Ich habe echt nicht die beste Stimme. Meine Oma wollte immer, dass ich Sänger werde. Aber zum Glück habe ich mich relativ früh für einen anderen Weg entschieden. (lacht)

SPOX: Anderthalb Jahre nach Ihrem ersten Spiel war in der Relegation 2011 erneut Bochum ein prägender Gegner.

Herrmann: Das war unglaublich. Die Geräuschkulisse nach dem Tor von Igor de Camargo. Wir haben ja immer eine gute Stimmung, aber da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Spätestens nach dem Rückspiel war nur noch Party. Wir haben Dante in der Kabine die Haare rasiert und er ist noch fünfmal zu den Fans rausgerannt. Hinterher am Stadion haben noch extrem viele Fans auf uns gewartet und uns gefeiert. Das war ein Knackpunkt-Erlebnis. Wer weiß, wo wir heute rumkrebsen würden, wenn wir abgestiegen wären.

SPOX: In den Jahren danach ging es stattdessen steil bergauf - für die Borussia und für Sie persönlich. Haben Sie jemals über einen Wechsel nachgedacht?

Herrmann: Wenn ein Vertrag ausläuft und Gespräche laufen, werden auch andere Vereine aufmerksam und fragen an. Ich wollte aber nie ernsthaft weg, weil wir auf so einem guten Weg waren. Ich habe nie einen Grund gesehen, warum ich woanders spielen sollte.

SPOX: Den guten Weg hatten Sie unter Lucien Favre eingeschlagen. Der einflussreichste Trainer Ihrer Karriere?

Herrmann: Definitiv. Ich kann wirklich nur gut von ihm reden. Er ist ein überragender Trainer, der jeden Spieler verbessern will und nach jedem Training Hinweise gibt. Es war auch sehr anstrengend, weil wir viel arbeiten mussten, aber letztlich hat es Früchte getragen.

SPOX: Was haben Sie individuell von ihm gelernt?

Herrmann: Ich habe im taktischen Bereich enorm dazugelernt, weil er alles sehr ausführlich erklärt hat. Außerdem hat er mir eingebrannt, dass ein Außenspieler nicht nur nach vorne rennen darf, sondern mindestens genauso hart gegen den Ball arbeiten muss. Das hat er jedem einzeln, aber auch uns als Mannschaft beigebracht. In dieser Zeit haben wir in unserem stabilen Defensivverbund beinahe nichts zugelassen. Wir haben sehr viele Spiele einfach nur 1:0 gewonnen, aber das hat uns stark gemacht.

SPOX: Nach Jahren, in denen es nur bergauf ging, haben Sie den Saisonstart 2015 verpatzt und Favre ist überraschend zurückgetreten.

Herrmann: Das kam völlig aus dem Nichts. Klar hatten wir fünf Spiele verloren und nicht unsere beste Leistung abgerufen, aber niemand hätte damit gerechnet, dass der Trainer zurücktreten würde. Ich saß gerade beim Abendessen, als er anrief und mir alles ruhig und unaufgeregt erklärte. Ich war geschockt, aber habe die Entscheidung respektiert. Am nächsten Tag haben wir uns mit der Mannschaft zusammengesetzt und lange gesprochen. Doch wir hatten ja keine Wahl, wir mussten damit zurechtkommen.

SPOX: Unter Favres Nachfolger Andre Schubert haben Sie sich nach wenigen Wochen das Kreuzband gerissen.

Herrmann: Es gibt nie einen guten Zeitpunkt für so eine Verletzung, aber der war besonders ungünstig. Ein neuer Trainer möchte sich erst einmal alle Spieler anschauen. Ich war dann aber fünf Monate raus. Dann wird es schwierig zurückzukommen, weil der Trainer zu den anderen schon ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Da läufst du schon hinterher.

SPOX: Wie nahe sind Sie in so einer Verletzungsphase an Mannschaft und Trainer?

Herrmann: Man ist nicht im Mannschaftstraining, sondern trainiert im Kraftraum für sich. Ich bin den anderen zwar regelmäßig begegnet, aber man fühlt sich dennoch ein wenig alleine, weil man nicht mittrainiert. Daran habe ich mich nie gewöhnt.

SPOX: Ihre zweite schwere Verletzung im Herbst 2016 haben Sie als noch schlimmer bezeichnet, weil Sie sich eben erst herangekämpft hatten.

Herrmann: Psychisch war das eine extrem harte Nummer. Meine Frau und meine Familie haben viel schlechte Laune abbekommen, das muss ich zugeben. Ich hatte einen Aircast-Schuh, mit dem ich nicht auftreten durfte, musste auf Krücken gehen und überall hingefahren werden. Nicht mal mit meinem Hund konnte ich rausgehen. Wenn du es gewöhnt bist, dich jeden Tag auszupowern, fällt dir da die Decke auf den Kopf.

SPOX: Kam in dieser Phase der Gedanke ans Karriereende?

Herrmann: Beim Knöchel nicht, aber beim Kreuzband habe ich mich schon gefragt: Werde ich je wieder Fußballspielen können? Werde ich immer Schmerzen haben? Das konnte mir damals kein Arzt sagen. Es war unklar, ob mit oder ohne OP der richtige Weg ist. Diese Ungewissheit hat mich zermürbt.

SPOX: Machen Sie seit Ihren Verletzungen mehr präventiv?

Herrmann: Am linken Knie muss ich noch mehrmals die Woche arbeiten, damit das stabil bleibt. Ansonsten trainieren wir mit dem ganzen Kader einmal wöchentlich individuell in Sachen Prävention. Alles kannst du damit aber nicht verhindern. Meine Knöchelverletzung damals in Berlin war ein Unfall. Das kann immer passieren.