Zur Halbzeit lag RB Leipzig am Sonntagnachmittag noch mit 0:1 gegen den SC Freiburg zurück, doch nach dem Seitenwechsel begann der Überfall der Bullen. Mit vertikalem, direktem Fußball schossen sie in 30 Minuten vier Tore und besiegten Freiburg letztlich mit 4:1. Der 22-jährige Guineer Naby Keita spielte dabei im Leipziger Mittelfeld durch. Nach dem Abpfiff klatschte er mit den Kollegen ab, holte sich das Lob seines Trainers Ralph Hasenhüttl und feierte noch ein bisschen mit den Fans.
Währenddessen war etwas mehr als 1000 Kilometer weiter westlich der Sturmlauf des FC Liverpool in vollem Gange. Ähnlich wie Leipzig in der zweiten Halbzeit Freiburg überrannte, überrannten die Reds ihren Gegner FC Arsenal, 4:0 hieß es am Ende. Liverpool begeistert die Premier League mit dem selben Fußball, mit dem Leipzig die Bundesliga begeistert - fußballphilosophische Anpassungszeit wird Keita bei seinem bald neuen Verein also eher nicht brauchen.
Zeit für das Studium der taktischen Feinheiten seiner neuen Mannschaft bleibt Keita trotzdem noch reichlich. 35 Premier-League-Spiele, mindestens sechs Champions-League-Spiele (eher mehr) und sicherlich auch einige Partien in den nationalen Pokalwettbewerben wird der FC Liverpool noch absolvieren, ehe sich Keita dem Klub am 1. Juli 2018 anschließen wird. Diese Zeitspanne lässt den Transfer durchaus ungewöhnlich erscheinen.
Noch ungewöhnlicher lässt den Transfer erscheinen, dass Liverpool rund 70 Millionen Euro für Keita zahlen wird - obwohl der Spieler Leipzig im kommenden Sommer für eine festgeschriebene Ablösesumme von 52 Millionen Euro hätte verlassen können. Ziehen durfte Liverpool diese Klausel zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht.
Warum Liverpool Leipzig 18 Millionen Euro "schenkt"
Keita ist der erklärte Wunschspieler von Liverpool-Trainer Jürgen Klopp, weil er mit seiner athletischen Spielweise prädestiniert ist für einen überfallartigen Stil, wie ihn die Reds und eben auch Leipzig praktizieren. Unbedingt wollte ihn Liverpool deshalb eigentlich bereits in diesem Sommer verpflichten und soll dafür bis zu 80 Millionen geboten haben.
Doch Leipzig lehnte alle Angebote ab, weil es vor der ersten Champions-League-Teilnahme der Vereinsgeschichte kein Interesse daran hatte, einen seiner Schlüsselspieler zu verlieren. Ein Keita-Transfer sei schlicht "nicht verhandelbar", erklärte Geschäftsführer Oliver Mintzlaff.
Gleichzeitig wurde der internationale Transfermarkt mit den Neymar-Millionen überschwemmt. Vor allem der FC Barcelona verfügte auf einen Schlag über enorme finanzielle Ressourcen. Und den Katalanen wird schon länger ein Interesse an Keita nachgesagt, zuletzt soll der Klub bereits mit Keitas Beratern Kontakt aufgenommen haben. Dies machte Liverpool wohl nervös. Nervös, dass Barca Keita mit einem finanziell besseren Angebot nach Katalonien lotsen könnte. Entweder im kommenden Sommer für die dann festgeschriebene Ablösesumme von 52 Millionen Euro. Oder noch in diesem Sommer mit einem für Leipzig schlicht unausschlagbaren Angebot.
Liverpool sah sich dadurch offenbar so sehr unter Druck gesetzt, dass sie Leipzig 18 Millionen Euro mehr zahlen werden, als die nächsten Sommer ziehbare Ausstiegsklausel verlangen würde. Einzig und allein um sicherzustellen, dass sich Keita bis zum Inkrafttreten der Klausel keinem anderen Klub verspricht.
Das Risiko, das Leipzig trägt
Da Leipzig ohnehin mit einem Abschied des wechselwilligen Keita im kommenden Sommer rechnen musste, nahmen die Bosse Liverpools Angebot an. Durch den bereits jetzt fixierten Transfer kann Leipzig hervorragend für die neue Saison planen und frühzeitig einen Ersatz verpflichten - und währenddessen weiterhin auf Keita zurückgreifen.
Leipzig muss nun jedoch hoffen, dass Keita weiterhin fokussiert auftritt. Sollte er die Lust verlieren, alles für Leipzig zu geben, und im Training und den Spielen lascher werden, könnte schnell eine unangenehme Situation entstehen - sowohl für Trainer Hasenhüttl als auch für Keitas Kollegen. Deshalb versucht Leipzig eilig, alle Bedenken schon im Vorfeld zu beseitigen.
"Mein Engagement bleibt für den Rest meiner Zeit bei RB Leipzig genauso stark wie bisher. Seit ich das Trikot trage, habe ich immer alles gegeben - und das wird auch bis zum letzten Pfiff in meinem letzten Einsatz so bleiben. Meine Zukunft ist jetzt geklärt und ich kann mich voll darauf konzentrieren, RB Leipzig zu helfen, um unsere Ziele in dieser Saison zu erreichen", wird Keita auf der Leipzig-Website zitiert und in englischer Übersetzung identisch auf der von Liverpool.
Bei Leipzig endet Keitas Stellungsname mit jener Aussage, bei Liverpool heißt es darüber hinaus: "Ich bin hocherfreut, dass eine Einigung erzielt wurde und ich mich im nächsten Sommer dem FC Liverpool anschließen darf: einem Projekt, das mich außerordentlich begeistert." Wird Keitas Begeisterung für seinen neuen Verein seine Tätigkeit bei seinem aktuellen beeinträchtigen? Die Antwort auf diese Frage wird Aufschluss darüber geben, ob es Leipzig nicht doch bereuen wird, Keita nicht bereits in diesem Sommer für eine höhere Summe verkauft zu haben.
Ein Gewinner und zwei mögliche
Liverpool muss derweil zuschauen und warten. Womöglich spielt Keita eine so derart starke Champions-League-Saison, dass ihn der FC Barcelona oder ein anderer finanzkräftiger Verein im kommenden Sommer unbedingt verpflichten will. Liverpool könnte Keita dann theoretisch direkt für eine noch viel höhere Summe weiterverkaufen - ohne, dass Keita auch nur ein einziges Spiel für die Reds gemacht hätte.
Womöglich zieht sich Keita im Laufe der aktuellen Saison aber auch eine schwerwiegende Verletzung zu, die ihn die ersten Wochen, möglicherweise gar Monate in Liverpool zum Pausieren zwingt. Im schlimmsten Fall eine Verletzung, die in der Folge immer wieder aufbricht, oder gar eine chronische. Für Liverpool würde das hohe Investment in diesem Fall (trotz aller sicherlich abgeschlossener Versicherungen) einen gewaltigen finanziellen Verlust bedeuten.
Keita selbst kann mit dem Deal derweil vollends zufrieden sein. Er darf in dieser Saison mit Leipzig in der Champions League spielen und hat dabei keinen Leistungsdruck, sich für einen Transfer zu einem europäischen Top-Verein zu empfehlen. Seine langfristige Zukunft bei einem solchen ist nun gesichert.
Läuft alles normal, dann dürfen sich im kommenden Sommer auch die beiden Vereine als Gewinner fühlen - sicher ist das ob aller Unwägbarkeiten aber keineswegs. Was dagegen sicher ist: Einen so teuren Transfer bereits so weit im Voraus abzuschließen ist im so schnelllebigen Fußballgeschäft ziemlich einmalig. Und äußerst ungewöhnlich.