SPOX: Gleichzeitig sagen Sie, sich gut vorstellen zu können, auch in zehn Jahren auf der Trainerbank in Hamburg zu sitzen.
Labbadia: Genau. Das eine schließt das andere ja in keiner Weise aus. Ich brauche, wie gesagt, das hundertprozentige Gefühl, dass ich der richtige Mann am richtigen Platz bin. Das ist auf der einen Seite eine Stärke, es kann aber auch zur Schwäche werden, weil man schneller verletzt und gekränkt werden kann.
SPOX: Was unternehmen Sie dagegen?
Labbadia: Ich habe gelernt, mir regelmäßig wieder Pausen zu nehmen, auch wenn es nur zwei Stunden sind. Das klappt nicht immer, oftmals reichen aber auch ganz banale Dinge wie ein Kinobesuch mit der Familie, um ein wenig Abstand zum Fußball und zur Engstirnigkeit, in die man als Trainer leicht gerät, zu gewinnen. Man ist tagtäglich in einem ganz bestimmten Kosmos und kann sich nur weiterentwickeln, wenn man sich mal komplett rausnimmt, seine Sichtweise verändert und mal mit anderen Menschen spricht, die nichts mit dem Fußball zu tun haben. Oftmals kann man dort wertvolle Eindrücke sammeln, die einem dann im Beruf wieder weiterhelfen.
SPOX: Bernhard Peters, Ihr Direktor Sport, der oft als Trainer der Trainer bezeichnet wird, äußerte sich vor Beginn der letzten Saison sehr ähnlich im Interview mit SPOX. Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Zusammenarbeit?
Labbadia: Bernhard Peters ist ein absoluter Fachmann, der sich hier im Verein vor allem in der Jugendarbeit und Trainerausbildung viel vorgenommen und bereits einiges bewirkt hat. Wir arbeiten sehr kollegial miteinander. Wenn es Schnittstellen bei jungen Spielern gibt, tauschen wir uns aus und besprechen die nächsten Schritte.
"Ich bin der Gute, oder?" - Bernhard Peters im Interview
SPOX: Peters beschäftigt sich mit sehr visionären Gedanken und setzte in Hoffenheim und beim Deutschen Hockey Bund bereits Konzepte über viele Jahre hinweg um. Hat dem HSV eine solche Konstanz in den vergangenen Jahren gefehlt?
Labbadia: Auf jeden Fall, Kontinuität ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen, wenn man erfolgreich sein möchte. Das gilt für den Fußball wie für jeden anderen Betrieb und jede Firma. Stellen Sie sich vor, in Ihrem Unternehmen wechselt jedes Jahr der Chef, der Manager und der Betriebsratsvorsitzende - wie soll das funktionieren? Schauen Sie sich die Vereine wie Dortmund, Gladbach, aber auch Mainz und Augsburg an, die den HSV in den letzten Jahren überholt haben. Dort sind seit drei, vier, teilweise sogar fünf Jahren dieselben Personen tätig gewesen und haben gemeinsam eine Vielzahl von richtigen, durchdachten Entscheidungen getroffen.
SPOX: Aber der HSV holt wieder auf?
Labbadia: Wenn man sich anschaut, wo wir vor knapp anderthalb Jahren standen und wie viele etablierte Spieler mit großen Namen wir seitdem abgegeben haben, können wir mit der Entwicklung durchaus zufrieden sein. Man darf bei all den Visionen, der mittel- und langfristigen Planung auch die Kurzfristigkeit nicht vergessen. Visionen zu haben ist toll, aber wir haben in den letzten Jahren an der Grenze gearbeitet, da ging es um das nackte Überleben und darum, eine Festigung des Vereins in der Bundesliga zu erreichen. Wenn die Kurzfristigkeit nicht gegeben ist, bringen mir auch die innovativsten Ideen in der Mittelfristigkeit nichts - denn dann erreiche ich diese erst gar nicht.
SPOX: Also braucht es einen guten Mittelweg?
Labbadia: Es braucht vor allem eine gute Aufgabenverteilung. Jeder hat ein Hauptaufgabengebiet, in das er einen Großteil seiner Arbeit, Kompetenz und Konzentration steckt, muss gleichzeitig aber auch an seine Kollegen und deren Ziele denken. Alle müssen als Teamplayer funktionieren und dürfen nicht eifersüchtig sein, wenn ein anderer mal mehr Lorbeeren erntet als man selbst. Das ist bei uns zwar gegeben, trotzdem ist der Weg, sich wieder hoch zu arbeiten, mindestens genau so lange, wie es gedauert hat, sich abzuwirtschaften.
SPOX: Fühlen Sie sich in den letzten Jahren zu sehr in dieser Kurzfristigkeit gefangen?
Labbadia: Nein, das war mir ja von Anfang an klar. Wir steckten in einer Situation, in der wir keine Zeit hatten, groß etwas zu entwickeln. Vielmehr zählten nur schnelle Resultate, um den Ligaverbleib zu schaffen, was für den Verein überlebenswichtig war. Jetzt sind wir mittlerweile so gefestigt, dass wir im letzten Jahr fast keine Abstiegssorgen haben mussten. Darauf können wir aufbauen und den nächsten Schritt machen. Das bedeutet aber gleichzeitig, sich als Verein einigermaßen von der öffentlichen Meinung zu lösen und manchmal Entscheidungen zu treffen, die auf den ersten Blick unpopulär erscheinen, dem Weiterkommen der Mannschaft aber dienen. Dafür braucht man eine breite Brust und ein starkes Team, das sagt: Da gehen wir jetzt gemeinsam durch. Wir verspüren große Lust, mit dem HSV nun den nächsten Schritt zu gehen und die Spieler, die Mannschaft und den Klub weiterzuentwickeln.