Manchmal kann Hermann Gerland nicht schlafen. Meistens dann, wenn der FC Bayern gespielt hat und er das Spiel in seinem Kopf noch nicht abgepfiffen hat. Er sitzt dann im Wohnzimmer auf seiner Couch, weil es langweilig ist, im Schlafzimmer liegend aufs Schlafen zu warten. Ein Spaziergang ist auch nicht drin um die Uhrzeit. Für die PlayStation oder andere Spielereien ist er nicht der Typ.
Um Fußball aus dem Kopf zu bekommen, guckt Hermann Gerland Fußball. Am liebsten den VfL Bochum, dessen Spiele er aufnimmt oder aufnehmen lässt. So viel Technik darf dann schon sein. "Ich setze mich hin", schildert Gerland SPOX diese Abende, "ich will Bochum schauen, aber dann kommt es schon vor, dass ich einschlafe." Kurze Pause. "Ich weiß nicht, ob ich dann immer müde bin."
Gerlands Bayern zu Gast in Bochum: Ab 17.50 Uhr im LIVE-TICKER
Telefongespräche "mit dem Lameck"
Es ist die Art des Hermann Gerland seine Liebe für etwas auszudrücken. Der VfL, das ist sein Verein. Er hat viele Freunde dort. "Mit dem Lameck (Michael, Anm. d. Red.) telefoniere ich drei Mal die Woche", sagt Gerland, aber es ist auch nicht mehr sein VfL, der einst zwar auch eine graue Maus war, aber eine graue Maus, die auch mal ein bisschen Farbe bekam. Jetzt ist es ein Verein in Tristesse, der nicht mehr zwischen der Bundesliga und der 2. Bundesliga pendelt, sondern zwischen Mittelmaß und Abstiegsplätze der zweiten Liga.
Daher kann sich Gerland auch nicht vorstellen, jemals wieder einen Job in Bochum anzunehmen. Schon die Frage nach der Möglichkeit findet der 60-Jährige entsetzlich. "Einmal haben sie gefragt, ob ich helfen kann. An dem Tag wurden wir deutscher Meister. Da habe ich denen gesagt: 'Glaubst, dass ich die Hose mit der Kneifzange zumache?'", erzählt Gerland. "Warum soll ich wieder in die Tretmühle? Klassenkampf, Klassenerhalt. Kein Geld. Gute Spieler verkaufen. Das brauche ich alles nicht mehr. Das hatte ich alles schon."
Guardiolas Berater
Und außerdem geht es ihm beim FC Bayern gut. "Ich fahre jeden Tag gerne zur Arbeit. Ich habe keine Probleme mit der Presse oder den Presseleuten. Sie lassen mich in Ruhe", so Gerland.
In München ist er schon im fünften Jahr in Folge Co-Trainer. Mit Jupp Heynckes' erster Rückkehr begann auch seine zu den Profis; zuvor hatte er die Amateure trainiert. Louis van Gaal übernahm Gerland als Co-Trainer, Heynckes beim erneuten Comeback auch. Als er mit seinem Freund Jupp gehen wollte, fragte Pep Guardiola nach der Möglichkeit, weiterzuarbeiten. Und Gerland, der Mann, der Fußball guckt, um sich von Fußball abzulenken, konnte gar nicht anders und sagte zu.
Für den Katalanen war und ist der gebürtige Bochumer mehr Hilfe als viele zunächst annahmen. "Hermann hat gesagt...", sagte Guardiola oft in seinem ersten Bundesliga-Jahr, als er über die kommenden Gegner sprach. Gerland ist Guardiolas Bundesliga-Lexikon. Auf wen muss man bei Mainz aufpassen? Wie kann uns Jos Luhukay überraschen? Spielt Stuttgart immer im 4-2-3-1? Gerland liefert die Antworten, die Pep braucht.
"Es ist seltener geworden, dass er fragt", sagt Gerland heute. "Er kennt die Gegner mittlerweile." Und dennoch gibt er hier und da noch Tipps: "Wenn mir was auffällt, sage ich ihm das. Wenn mal einer ausgefallen ist und nun zurückkommt oder sowas."
Die kleinen Dinge sind es inzwischen, die ein Fußballspiel entscheiden können. So klein der Tipp auch ist, so hilfreich kann er sein. Gerland weiß das und hilft, wo er kann.
Gerlands Weltmeister
Ansonsten steht er auf dem Trainingsplatz und mimt den klassischen Co-Trainer. Auch in Katar war er wieder mit dabei. Das vielleicht 100. Trainingslager in seiner Karriere. "Zählen Sie doch selbst, Sie wissen wie viele Jahre ich schon dabei bin", sagte er einem Journalisten, der nach der Anzahl der Trainingslager fragte.
Müde wird er nicht. Gerland stand auch im Wüstenstaat oft als erster auf dem Platz, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Die Spieler lieben und schätzen ihn. Gerade die Jungs, die er seit ihrer Kindheit kennt. "Der Müller darf doch nur schießen, weil du ihn so lange kennst", schrie Arjen Robben nach einer Trainingseinheit in Doha Richtung Gerland.Die Bayern-Spieler beendeten eine Einheit mit einem Elfmeterschießen. Gerland pfiff den Spaß-Kick ab und schickte alle Spieler in die Kabine - nur Müller durfte nochmal ran. Robbens Provokation war ein Spaß, man lachte herzhaft, aber ganz so abwegig war die Aussage des Niederländers nicht.
Zu den jungen Spielern, vor allem zu den seinigen, hatte Gerland schon immer eine ganz besondere Beziehung. Für ihn ist es die pure Glückseligkeit, wenn einer seiner Jungspunde die große Karriere schafft. "Wir haben hier fünf Weltmeister ausgebildet", sagt Gerland. Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Toni Kroos und Mats Hummels. "Wenn Holger (Badstuber, Anm. d. Red.) nicht verletzt wäre, wären es sechs."
Tipps für Ödegaard
Gerland ist aber keiner, der sich zurücklehnt und sich übertrieben lange freut, die halbe Weltmeister-Elf ausgebildet zu haben. Er will weitere Nachwuchsspieler ganz oben sehen. In den Trainingseinheiten kümmert er sich viel um Sinan Kurt, Gianluca Gaudino oder Leopold Zingerle, dem Nachwuchstorhüter des FC Bayern.
In Doha machte sich Gerland einen großen Spaß daraus, wie Zingerle bei einem Torschusstraining fast jeden Ball von Schweinsteiger, Robben und Co. nacheinander entschärfte. "Super, Leo. Toll, mein Junge", frohlockte Gerland mit einem frechen Grinsen und sammelte die Bälle ein, die der junge Torhüter nach links und rechts abwehrte.
Zuletzt hatte er Martin Ödegaard im Training beim FC Bayern. Gerland ist der Hype um einen 16-Jährigen, der nachweislich was kann, aber auch nachweislich noch nichts nachgewiesen hat, zuwider.
"Wenn über einen 16-Jährigen so viel geschrieben wird, wird der schon was können", sagt Gerland süffisant. Das Können sah der Mann mit dem Auge für junge Spieler aber auch und gab ihm einen Tipp: "Ich habe gesagt: 'Du musst sehen, dass du zum besten Trainer kommst. Der beste Trainer für mich ist bei Bayern München, der ideal und genial mit jungen Spielern umgeht.'"
Wie lange macht er noch?
Geholfen haben Gerlands Worte nicht, Ödegaard ist zu Real Madrid gewechselt. Gerland weint ihm keine Träne nach, zumal er schon immer vorsichtig war, wenn ein Spieler zu sehr gefeiert wurde. In einem Interview sagte er mal über Berkant Göktan, dass dieser das größte Talent in der Jugendabteilung des FC Bayern war. Geworden ist aus dem Ausnahmekönner wenig bis nichts. Zuletzt scheiterte dieser gar beim Münchener Vor-Ort-Klub SV Heimstetten.
"Es ist immer dann eine gute Entwicklung, wenn es der Spieler hinterher schafft bei dem Verein. Wenn die Spieler aus ihrer normalen Umgebung weggerissen werden, drei Jahre später aber wieder weggeschickt werden, sagen die Leute, die diese Spieler die ganze Zeit gepusht haben: 'Schau' mal, der Blinde hat es doch nicht geschafft.' Das ist für die Spieler schlimm", sagt Gerland.
Aber eigentlich wollte er über das Thema auch nicht sprechen. "Dafür sind jetzt Andere verantwortlich." Er ist Co-Trainer und will es auch bleiben. Wie lange, ist unklar. Tippen mag er grundsätzlich nicht. "Bei jedem meiner drei Kinder hatte ich das Gefühl, einen Sohn gezeugt zu haben. Bekommen habe ich drei Töchter, deshalb lasse ich mich von Gefühlen nicht mehr leiten."
Der FC Bayern im Steckbrief