Es war ein aus Dortmunder Sicht symbolträchtiges Bild, das am 14. Januar 2011 in der Leverkusener BayArena entstand. Kevin Großkreutz' festgehaltener Sprung in die ausgebreiteten Arme des BVB-Anhangs ging lange Zeit als der fleischgewordene Beweis der echten Liebe durch, die Borussia Dortmund als Markencredo in der Folge etablierte. Der Torjubel-Schnappschuss zierte wenig später nicht nur die Geschichten im eigenen Stadionmagazin.
Großkreutz entschied die Partie zum Rückrundenstart gegen die Werkself mit zwei Treffern und einer Vorlage binnen sechs Minuten nach der Pause im Alleingang.
Damals fragten sich viele, ob der unheimliche Lauf des schwarzgelben Tabellenführers ins neue Jahr gerettet werden kann. Jener Freitagabend gab Aufschluss: Die Winterpause brachte keinen Bruch, die Mannschaft funktionierte weiterhin bestens und nahm Kurs Richtung Meisterschaft.
Winterpause im Zeit-Vakuum
Am kommenden Samstag, dem 18. Spieltag der Bundesliga, gastiert der BVB erneut in Leverkusen. Und wieder ist es vage, welchen Einfluss die Pflichtspielpause auf das Team von Jürgen Klopp hatte - nur könnte diesmal die Ausgangslage unterschiedlicher kaum sein.
Nach dem desaströsen Ausklang des Jahres 2014 befand sich Borussia Dortmund in den letzten drei Wochen in einer Art Zeit-Vakuum. Es ist die Zeit zwischen dem Absturz auf Tabellenplatz 17 und dem Vorhaben, diese Platzierung schnellstmöglich zu begradigen. Sie bedeutete in vielerlei Hinsicht Balsam auf die geschundenen Seelen der Dortmunder Belegschaft.
Durch die Bank nämlich betonten die Schwarzgelben, äußerst froh gewesen zu sein, sich der Negativspirale, in die sich die Mannschaft im Verlauf des ersten Saisonabschnitts manövrierte, für diese "Zwischenzeit" entzogen zu haben. Und man stattdessen ohne den hämmernden Druck, den der Terminkalender auf ein kriselndes Team ausüben kann, ausgiebig trainieren konnte, ja durfte.
BVB bleibt ein großes Rätsel
Entgegen seiner Absicht, die Medienarbeit während der Vorbereitungszeit auf ein Minimum zu reduzieren, entschied sich Coach Klopp dann doch um und benannte in diversen Gesprächen die Gründe, weshalb er die Mission Klassenerhalt mit Optimismus angehe. Er tat dies auch, damit seine Spieler nur dosiert die immergleichen Fragen nach dem Warum über sich ergehen lassen mussten.
Die Quintessenz aus Klopps Zuversicht lautet: Das Mehr an Trainingseinheiten in der Winterpause werde zu einer höheren körperlichen Substanz führen, die die Konzentrationsmängel reduziere, die seiner Truppe auch in Form zahlreicher individueller Fehler zugesetzt hatten. In Einheit mit der höheren personellen Fluktuation führe dies den BVB wieder zurück zur ureigenen Spielweise.
Dass die Dortmunder physisch stärker in die zweite Saisonhälfte gehen, daran sollte in der Tat kaum ein Zweifel bestehen. Ob dies allerdings die gewünschten Rattenschwänze nach sich ziehen und ausreichen wird, die Angst zu besiegen, die zuletzt die Psyche der Spieler zusehends aufgefressen hat, bleibt trotz Klopps "Medienoffensive" vorerst ein großes Rätsel.
Testspiele mit zwei Gesichtern
Die Eindrücke, die der BVB 2015 in Form von Testspielen abgab, bieten jedenfalls Platz für eine gewisse Portion Skepsis. Nun muss man Dortmund dabei zu Gute halten, die jeweiligen Duelle aus der vollen Trainingsbelastung heraus angegangen zu sein - so mussten während nur rund drei Wochen Vorbereitung auch alle anderen Bundesligisten vorgehen. Auch war nicht zu erwarten, dass das Team im Handumdrehen ein vollkommen verändertes Bild abgibt und sichtbar alle Mängel abstellen kann.
Heraus kamen Auftritte mit zwei Gesichtern: Die Abläufe in Defensive wie Offensive sahen wieder flüssiger aus, der Mannschaft gelang es über längere Zeiträume, kompakt zu stehen und gemeinschaftlich in der gegnerischen Hälfte gegen den Ball zu arbeiten.
Doch waren auch Situationen und Spielphasen zu beobachten, die den Eindrücken der Hinrunde in nichts nachstanden: Eigener Ballbesitz im Angriffsdrittel ohne zielgerichtetes Spiel in die Tiefe und Optionen auf Torchancen. Fehlende situative Zuordnung und Staffelung in der Defensive, die dem Gegner große Räume freilegten.
Alarmierend war aber vor allem die unruhige und nervöse Reaktion auf eigene Unzulänglichkeiten, die das BVB-Spiel innerhalb von gefühlten Sekunden hektisch werden lässt. Dies war unabhängig vom einzigen Gegentreffer gegen Düsseldorf festzustellen.
Ernstfall war nicht zu simulieren
"Wir wissen, dass die Drucksituationen nicht weniger werden", sagt Klopp und baut darauf, dass sich der Umgang damit mit Wiederaufnahme des Spielbetriebs verbessert. Doch damit spricht er auch Dortmunds vielleicht wundesten Punkt an. Der psychische Stress auf seine Mannschaft wird letztlich nur nach einer Siegesserie ein Ende finden. Doch die ist mit 15 Punkten aus 17 Spielen auf der Habenseite unwahrscheinlicher als eine Auftaktpleite in Leverkusen.
Zwar empfahl Klopp seinen Schützlingen frühzeitig und eindringlich, die Ereignisse der Vorrunde zu akzeptieren und die gemachten negativen Erfahrungen jetzt für sich nutzen zu wollen.
Doch es scheint unausweichlich: Das Geschehene dürfte weiterhin wie ein unsichtbarer Rucksack auf den Schultern der Spieler sitzen. Und der würde sich sofort wieder so schwer wie zuletzt anfühlen, sollte der Auftakt mit drei Spielen in sieben Tagen in einen Stotterstart münden. Der Ernstfall war in der Winterpause nicht zu simulieren.
"Normalerweise ist Borussia Dortmund zu sein ein Pfund", meinte Klopp kürzlich. Im Abstiegskampf sei es dies jedoch nicht, da die Kontrahenten im übertragenen Sinne mit dem Messer zwischen den Zähnen auf den ehemaligen Champions-League-Finalisten warten und wissen, dass er auf diese Weise verwundbar geworden ist.
Klopps wichtigster Abschnitt als Trainer
Es stehen dem BVB jetzt 17 Endspiele ins Haus. Doch ob nun regelmäßiges Training oder eine bessere Physis: Die Gefahr, dass sich das in den letzten vier Wochen zur Seite geschobene Rucksack-Problem der Selbstzweifel wieder blitzschnell in den Köpfen der Spieler einnisten könnte, besteht zweifelsfrei.
Dortmunds härtester Rückrundengegner wird daher der Druck auf die Psyche der Akteure sein, aus dem zum Jahresausklang eine Angst vorm Verlieren resultierte, die Klopp in einem Werbespot ironischerweise einmal selbst thematisierte.
Der Trainer ist sich durchaus bewusst, dass das Treiben beim BVB in diesen Tagen mit Skepsis beäugt wird. Er weiß, dass nicht nur der so treue Anhang künftig kritischer hinschauen wird. Für den Coach beginnt am Samstag der wichtigste Abschnitt seiner Zeit als Übungsleiter, seit er 2011 mit dem Titel "Meistertrainer" die Saison abschloss.
Gelingt in Leverkusen Ähnliches wie vor über vier Jahren und am Ende der Klassenerhalt "in einer Art und Weise, dass wir es anschließend als Leistung verbuchen können" (Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke), dann wäre aber klar: Die Bilder aus Leverkusen würden dieselben Ausmaße annehmen, wie damals bei Großkreutz.
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