Die ständigen Nachfragen zu einer Krise oder sogar Zukunftssorgen beendete Lucien Favre nach seinem Jubiläum mit einem geschickten Schachzug. "Ich werde das schaffen", sagte der Schweizer nach dem 0:1 (0:0) gegen Bayer Leverkusen in seinem 100. Bundesliga-Spiel als Trainer von Borussia Mönchengladbach: "Und wenn nicht, werde ich die Konsequenzen ziehen."
Die Journalisten schauten perplex in die Runde, Favre klatschte feixend in die Hände, stand auf und ging. Zumindest sein letzter taktischer Schachzug an diesem eigentlich recht tristen Abend hatte funktioniert.
"Zu viel auf die Tabelle geschaut"
Natürlich war es keine Rücktritts-Ankündigung des 56-Jährigen, der trotz der "schweren Zeit im Moment" (Favre) am Niederrhein weiter unbestritten in der Kategorie "Erfolgstrainer" geführt wird. Die etwas nebulöse Aussage, die allenfalls auf einen möglichen Wechsel des Stammpersonals oder eine härtere Gangart im Training hindeuten könnte, war für Favre eine Art Befreiuungsschlag. "Das war keine Rücktrittsankündigung, sondern bezog sich auf mögliche taktische Änderungen", so Favre am Samstag.
Denn die dritte Niederlage im dritten Spiel 2014 nagte zweifellos an dem Perfektionisten, und so war er gerade Gefahr gelaufen, entgegen sonstiger Gewohnheit öffentliche Kritik an seiner Mannschaft zu üben. "Wir haben in der Winterpause zu viel davon gesprochen, dass wir Dritter sind. Wir haben zu viel auf die Tabelle geschaut und zu viel geschaut, was die anderen machen", sagte Favre, der allerdings Minuten vor dem Spiel zur Beschwichtigung noch selbst betont hatte, "dass wir heute über den Europapokal reden. Vor drei Jahren haben wir nur über Abstieg gesprochen".
Gestiegene Ansprüche seit 2012
Betrachtet man die vermeintlich hoffnungslose Situation bei Favres Amtsantritt 2011, hat die Borussia heute zweifelsohne eine Luxusproblem. "Und dass man gegen Bayern München und Bayer sowie bei Hannover 96 verliert, ist auch nicht unrealistisch", betonte er.
So richtig wissen sie in Gladbach aber nicht, wie sie die aktuelle Flaute nach einer sensationellen Hinrunde deuten sollen. Bezeichnend hierfür waren die unterschiedlichen Antworten auf die Frage nach der Leichtigkeit. Diese sei verloren gegangen, merkte Sportdirektor Max Eberl an. "Ja, das kann man so interpretieren", meinte Favre, zögerlich zustimmend. Mittelfeldspieler Christoph Kramer, in den vergangenen Wochen noch der beste Gladbacher, reagierte dagegen unwirsch: "Die Leichtigkeit fehlt, die Beine sind schwer - das sind immer ganz tolle Sprüche", sagte er: "Aber das ist eine ganz normale Situation, wie sie im Fußball vorkommt. In der Hinrunde hatten wir nach diesen drei Spielen auch nur drei Punkte mehr."
"Mal wieder Zeit für einen Sieg"
Dass sie etwas ändern müssen bei der Borussia, ist jedoch augenscheinlich. "Wir haben unsere gute Ausgangsposition verspielt. Jetzt wird es mal wieder Zeit für einen Sieg", betonte Abwehrspieler Tony Jantschke angesicht von nun zehn Punkten Rückstand auf den Zweiten Leverkusen.
Zumal auch die Leistungen Anlass zur Sorge geben. "Zu viele Fehler", mahnte Eberl an, "zu große Ungeduld" erkannte Favre, "zu wenig herausgespielte Torchancen" sah Kramer.
Doch Eberl mühte sich auch um Gelassenheit. "Was in der Hinrunde passiert ist, haben wir relativ gut abgeschätzt", versicherte er: "Deshalb reden wir uns jetzt auch nicht in Grund und Boden. Und wir müssen auch keine Krisensitzungen abhalten."
"So will man sich nicht präsentieren"
Trotz des Sieges hinterließen die Leverkusener kein makelloses Bild. "Da haben wir wohl wieder einen Rekord aufgestellt", meinte Stefan Kießling ironisch.Dass der Big Point und die zehn Punkte Vorsprung auf die fünftplatzierte Borussia zunächst in den Hintergrund der Diskussionen rückten, lag an den Gelben Karten für die Ersatzspieler Philipp Wollscheid (9.) und Giulio Donati (78.). Der erste hatte von der Bank einen zweiten Ball ins Spielfeld geworfen, der zweite den Spielball beim Warmlaufen nicht hergeben wollen.
Völler musste zunächst "etwas schmunzeln, weil ich so etwas noch nie erlebt habe", war über die Außenwirkung jener Szenen aber alles andere als glücklich. "So will man sich natürlich nicht präsentieren", erklärte der Weltmeister von 1990, der aber versicherte, dass es keine Geldstrafen geben werde.
"Idiotisch aber passiert"
Die beiden Sünder waren sich ohnehin keiner Schuld bewusst. "Ich weiß nicht, warum ich Gelb gesehen habe. Ich habe nichts getan", versicherte Donati. "Ich war irritiert und überrascht, als er mir die Karte unter die Nase hielt", sagte der am Ende noch für 61 Sekunden eingewechselte Wollscheid und beteuerte, den Ball nicht zur Irritierung des Gegners ins Spielfeld geworfen zu haben. Schiedsrichter Florian Meyer wollte es zunächst auch bei einer Ermahnung belassen, verwarnte Wollscheid nach Funk-Rücksprache mit seinem Assistenten aber doch noch.
Bayer-Schlussmann Bernd Leno beurteilte die Situation derweil mit unangebrachter Ironie. "Eigentlich war es ja gar nicht so schlecht gemacht von Philipp", sagte er: "Aus der Situation hätte ein gefährlicher Angriff entstehen können. So gesehen war es wie ein taktisches Foul." Gladbachs Ex-Trainer Hans Meyer beurteilte die Situation am "Sky"-Mikrofon als "idiotisch, aber es ist wohl instinktiv passiert".
Borusssia Mönchengladbch im Überblick