SPOX: Herr Lell, als Sie noch bei den Bayern waren, spielten Sie unter Louis van Gaal keinerlei Rolle. Jetzt sind Sie Stammspieler einer jungen Bundesliga-Mannschaft mit Perspektive und bringen bei Hertha BSC gute Leistungen. Wie groß ist Ihre Genugtuung?
Christian Lell: Genugtuung empfinde ich dabei nicht. Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich bin schon immer ungeachtet dessen, was andere Leute sagen oder prognostizieren, meinen eigenen Weg gegangen. Ich kann Dinge beruflich und privat schnell abschließen und mich aufs Wesentliche konzentrieren. Daher habe ich mir nie Gedanken gemacht a la 'Oh Gott, ich habe jetzt ein Jahr nicht gekickt, was passiert mir, wenn ich wieder nicht oder schlecht spiele?'
SPOX: Hegen Sie keinen Groll gegenüber van Gaal? Schließlich fehlte Ihnen ein Jahr Spielpraxis.
Lell: Nein. Ich kann auch über den Trainer van Gaal überhaupt nichts Schlechtes sagen. Ich habe unter ihm sehr viel gelernt. Sein Trainingsaufbau war sehr akribisch, er hat immer alles bis ins letzte Detail durchdacht und war wirklich sehr professionell.
SPOX: Letzten Endes ist der Mensch van Gaal beim FC Bayern gescheitert.
Lell: Er war eine schwierige Person. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass er mir seine Entscheidung nicht erst eine Woche vor Transferschluss mitteilt. Er war dabei zwar sehr direkt und klar - das fand ich auch gut so -, aber es hatte etwas von 'Friss oder stirb'. Er hatte es schwer, sich bei Bayern München über einen längeren Zeitraum Freunde zu machen. Die brauchst du aber, wenn du dort Erfolg haben willst.
SPOX: Wie schwer war es für Sie, plötzlich nicht mehr gebraucht zu werden, selbst wenn die Trainingsarbeit stimmen sollte?
Lell: Das war natürlich nicht leicht, klar. Es hört sich plump an, aber man muss sich dann einfach durchbeißen und darf in einer solchen Situation nicht verzweifeln. Es bleibt einem ja auch nichts anderes übrig. Ich musste körperlich fit bleiben und habe gehofft, dass die Zeit schnell vergeht.
SPOX: Aber die Motivation leidet in einer solchen Phase schon?
Lell: Anfangs habe ich gedacht, dass ich ihn mit meiner Trainingsarbeit vielleicht doch noch vom Gegenteil überzeugen kann. Wenn das dann nicht fruchtet, schwindet die Motivation logischerweise schon. Letztlich muss man das als Profi aber so hinnehmen.
SPOX: Sie hätten damals ja auch am letzten Tag der Transferperiode zu Stoke City wechseln können, waren aber nicht auffindbar. Stimmt das überhaupt?
Lell: Das war eine komplette Ente. Da hat weder jemand beim Verein noch bei meinem Management angerufen. Ich habe keine Ahnung, wie das entstanden ist.
SPOX: Wäre es denn interessant gewesen?
Lell: Wenn man mich an diesem Tag nicht hätte finden können, dann aus dem Grund, dass ich wahrscheinlich schon in England gewesen wäre (lacht). Es wäre unter meinen Voraussetzungen ideal gewesen. Damals war es aus meiner Sicht aber leider eine Ente.
SPOX: In der Folge haben Sie sich eine Auszeit vom Fußball genommen. Wie ist es dazu gekommen?
Lell: Van Gaal ist ja sehr erfahren, er weiß, wann ein Spieler so etwas braucht. Ich habe das Gespräch mit ihm gesucht und er hat mir vorgeschlagen, eine Pause einzulegen. Er hat gesagt, dass er das schon mit vielen Spielern so gemacht hat, unabhängig von Namen. Ich habe mir dann Gedanken gemacht und war der Meinung, dass - wenn überhaupt - jetzt der richtige Zeitpunkt für eine solche Maßnahme wäre. Diese acht Wochen haben mir auch sichtlich gut getan haben. Ich konnte abschalten und wieder Motivation für Neues sammeln.
SPOX: Das Neue brachte für Sie einen Umzug nach Berlin mit sich. Wie gefällt es Ihnen denn dort im Vergleich zu München?
Lell: Ein Vergleich ist schwer, München ist ja meine Heimatstadt und bleibt daher immer etwas ganz Besonderes für mich. Berlin ist natürlich etwas anderes als München, die Stadt ist viel weitläufiger, aber auch nicht so gemütlich. Ich musste anfangs lernen, mit dem riesigen Angebot, das mir diese Stadt bietet, umzugehen. Ich habe mich aber der Stadt angenommen und geöffnet. Wenn man das tut, kann man sich in Berlin richtig wohl fühlen.
SPOX: Sie haben nun auch Ihr Haus in München verkauft. Inwiefern dokumentiert das, dass diese Zeit für Sie abgeschlossen ist?
Lell: Das kann man schon so sehen. Es war ein großer Schritt für mich und meine Familie, München war unser Rückzugspunkt. Es hat etwas gedauert, das aufzugeben und den Fokus vollkommen auf Berlin zu legen. Das Ergebnis ist jetzt aber hervorragend, es fehlt uns an nichts.
SPOX: Das kann man auch aufs Sportliche übertragen. Unter Markus Babbel hat sich die Hertha weiterentwickelt und die Ziele bislang erreicht. Wie würden Sie Ihren Trainer charakterisieren?
Lell: Er ist sehr introvertiert, benutzt aber klare und direkte Worte. Er ist sehr zielstrebig, entschlossen und steht für das, was er tut, hundertprozentig ein. Es macht unter ihm immer Spaß, unabhängig von der sportlichen Situation. Als Spieler weiß man, dass er seine Linie hat und man sich darauf verlassen kann.
SPOX: Sie sind unter ihm regelrecht aufgeblüht, selbst die Nationalmannschaft ist wieder ein Thema. Sagte zumindest Bundestrainer Joachim Löw über Sie.
Lell: Dazu möchte ich nichts sagen. Das habe ich mir so angeeignet, als das Thema vor Jahren auch schon einmal aufgetaucht ist.
SPOX: Sie hätten ja auch als Sohn einer österreichischen Mutter für den ÖFB auflaufen können, waren aber bei Ihrem ersten Pflichtspiel für Deutschland im Nachwuchsbereich noch nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft. Wann haben Sie die denn beantragt?
Lell: Das war vor drei oder vier Jahren. Irgendein Journalist hat das damals mitbekommen und plötzlich ist diese ganze Diskussion entfacht. In der Folge haben sich die Verantwortlichen bei mir gemeldet.
SPOX: Wussten Sie, dass Sie nicht spielberechtigt waren, weil Sie die Staatsbürgerschaft quasi zu spät beantragt haben?
Lell: Nein, sowohl der Verband als auch ich wussten das nicht. So ist es halt jetzt nun mal, Schwamm drüber.
SPOX: Außerhalb des Spielfelds engagieren Sie sich für Menschen, die wie Ihre Schwester Marie-Therese an der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose erkrankt sind. Welche Rolle spielt dieses Thema für Sie?
Lell: Wenn man als Kind hautnah mitkriegt, was eine solche Krankheit mit sich bringt, prägt einen das mit der Zeit. Man entwickelt zu seiner eigenen Gesundheit ein ganz anderes Gefühl. Diese Selbstverständlichkeit, gesund zu sein, verschwindet. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich zu gewissen Dingen eine andere Meinung hätte, wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte.
SPOX: Welche Dinge meinen Sie?
Lell: Neben dem Gesundheitsaspekt geht es auch ganz generell darum, einem Beruf ohne Einschränkungen nachgehen zu können. Eine solche Krankheit zieht sich querbeet durch das ganze Leben, man wird jeden Tag damit konfrontiert. Das ist vielen Menschen, die gesund und munter durchs Leben gehen, nicht so sehr bewusst, wie wenn man das direkt miterlebt.
SPOX: Deshalb haben Sie eine Stiftung gegründet, die erkrankten Menschen helfen, aber auch das öffentliche Bewusstsein schärfen soll.
Lell: Genau. Ich möchte diese Krankheit bekannter machen. Viele Menschen schrecken vor den Symptomen, gerade dem starken Husten, und letztlich vor den Erkrankten zurück und fragen sich, ob das ansteckend ist. Sie zeigen eine generelle Verunsicherung. Es geht also in erster Linie um Aufklärung. Wir sammeln Geld, um Projekte zu unterstützen, Krankenhäuser mit Geräten zu versorgen oder Erkrankten einen Job zu vermitteln.
Christian Lell im Steckbrief