4. Was ändert sich in der aktuellen Saison?
Auf die laufende Spielzeit sollte sich die Absage Siegenthalers zumindest nicht unmittelbar auswirken. Trainer Armin Veh hatte nach eigenen Angaben ohnehin noch keinen engeren Kontakt zu Siegenthaler - und von dessen Richtlinien-Kompetenz wollte er auch nichts wissen. "Eins ist klar", ließ der 49-Jährige bald ausrichten: "Die Spielphilosophie gibt immer der Trainer vor."
Leicht zynisch zeichnet sich damit am Rande zumindest ein Vorteil der geplatzten Zusammenarbeit mit Siegenthaler ab: Der HSV entgeht einem weiteren Kompetenzgerangel. Denn insgesamt haben sich die Umstände seit der Einigung im Februar doch relativ deutlich verändert. So plante man damals noch eine Zukunft mit Bruno Labbadia - und Bastian Reinhardt war nicht Siegenthalers Vorgesetzter sondern nur ein unbedarfter Praktikant. Die mühsamen Diskussionen um die konkrete Rolle des Schweizers sowie die Verpflichtung von Armin Veh schienen ohnehin etwas den Wind aus den Segeln des "Projekts Siegenthaler" genommen zu haben.
5. Was hat es mit der "Doppelfunktion" auf sich?
Nichtsdestotrotz ärgert sich Hoffmann auch deshalb über den erzwungenen Rücktritt Siegenthalers, weil "es sowohl bei der Nationalmannschaft, als auch bei der DFL solche Doppelfunktionen gab und gibt". Und in der Tat scheint die zitierte "Grundsatzentscheidung" so grundsätzlich nicht zu sein. Mit Reinhard Rauball (Präsident in Dortmund), Peter Peters (Geschäftsführer auf Schalke) und Harald Strutz (Präsident in Mainz) sitzen drei Vereinsfunktionäre auch im Vorstand des DFB. Allerdings: Diese Posten erhalten sie aufgrund eines Grundlagenvertrags zwischen Liga und DFB: Als Vorsitzende des Ligaverbandes sind sie automatisch auch Vizepräsidenten des DFB. Außerdem scheint es unwahrscheinlich, dass sie aus dieser Personalunion Wettbewerbsvorteile für die sportlichen Belange ihrer Vereine ziehen könnten.
Daneben arbeitet mit Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt (FC Bayern) ein Vereinsangestellter gleichzeitig im Betreuerstab der Nationalmannschaft. Bis vor der WM galt dies auch für Hans-Dieter Hermann (Sportpsychologe in Hoffenheim). Beide hätten womöglich vergleichbare "Insider-Informationen" wie Siegenthaler. Beide unterliegen aber einer Verschwiegenheitspflicht. Ihren Wettbewerbsvorteil auszuspielen, wäre eine somit eine Straftat - und ein unmittelbarer Grund für ein Berufsverbot.
Siegenthalers Doppelfunktion hätte insofern tatsächlich eine andere Qualität. Der Schweizer hätte einen vermeintlichen Informationsvorsprung - und dürfte ihn zu Gunsten des HSV auch nutzen. Ob dieser "Vorteil" im angeblich ohnehin gläsernen Fußball die ganze Aufregung überhaupt wert ist, darüber lässt sich freilich streiten.
6. Welche Rolle spielt Siegenthaler?
Siegenthaler selbst spielte von Anfang an mit offenen Karten: Sollte er zu einer Entscheidung gezwungen werden, bleibt er im Team von Bundestrainer Joachim Löw. In dieser Hinsicht - und das bestätigt auch Bernd Hoffmann - gibt es keine Zweifel an der Integrität des Schweizers. Ob ihn die politischen Debatten um seine offizielle Stellung im Verein noch in seiner Entscheidung bestärkt haben, steht auf einem anderen Blatt.
7. Wer trägt die Schuld?
Auch Liga-Chef Reinhard Rauball versichert glaubhaft, dass die Vorbehalte gegen Siegenthalers "Nebenjob" in Hamburg schon immer innerhalb der DFL offen angesprochen wurden. Bleibt die Frage, weshalb das kategorische Nein erst vier Tage vor dessen Amtsantritt öffentlich kommuniziert wurde. Unklar ist indessen auch, ob sich der HSV im Austausch mit der Liga nicht sorgfältiger hätte absichern können. Immerhin waren die Zweifel bekannt.
Merkwürdig ist allerdings auch das Auftreten des DFB. Unmittelbar nach der Einigung mit Siegenthaler schickte Teammanager Oliver Bierhoff noch freundliche Grüße nach Hamburg: "Ich freue mich für Urs Siegenthaler, dass er diese unglaublich spannenden Aufgabe beim HSV übernehmen wird und gratuliere dem HSV zu dieser Entscheidung." Nach einem fast halbjährigen Schweigen meldet sich in letzter Sekunde plötzlich Generalsekretär Niersbach und lässt das Engagement platzen.
Hoffmann legt Wert auf die Feststellung, er habe sich beim DFB den offiziellen Segen für die Doppelbeschäftigung geholt, den plötzlichen Sinneswandel könne er entsprechend nicht nachvollziehen. Die meisten Kommentatoren folgen seiner Argumentation und vermuten die "Schlamperei" eher auf Seiten des DFB. Womöglich habe man dort damit gerechnet, dass sich das Problem von selbst löse: Mit Löws Abschied nach der WM.