"Bebeto hatte in Dortmund unterschrieben"

Von Interview: Jochen Tittmar
Zwei, die die Transfergeschehnisse der 90er Jahre prägten: Michael Meier (l.) und Uli Hoeneß
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SPOX: Und worin unterscheiden sich Verträge, die in den 1990er Jahren unterzeichnet wurden, von denen, die nun die Profis unterschreiben?

Meier: Die Art der Bezahlung hat sich geändert. Früher gab es fast keine Garantieverträge. Die deutschen Nationalspieler, die Anfang der 90er in Italien gespielt haben, kamen plötzlich mit dieser "Unart" nach Deutschland, garantierte Nettobeträge zu bekommen. Damals galt allerdings noch das Prinzip, nur nach Leistung zu bezahlen: Grundgehalt, eine gestaffelte Jahresleistungsprämie sowie eine Punktprämie. Irgendwann sind die Verträge in Form von Punkteinsatzprämien umgeändert worden. Heißt: Wenn der Spieler eingesetzt wird und der Verein einen oder drei Punkte holt, dann bekommt er pro Punkt eine Prämie. Er wurde also nicht nur für den bloßen Einsatz bezahlt, sondern erst dann, wenn er eingesetzt wurde und man das Spiel auch nicht verlor. Die garantierten Nettobeträge, die auch in Spanien verbreitet waren, sind aufgrund der Steuerharmonisierung in der EU heute für die Klubs sehr gefährlich. Paris Saint-Germain macht gerade leidvolle Erfahrungen mit der Erhöhung des individuellen Steuersatzes für Besserverdienende.

SPOX: Worüber haben Sie sich in Verhandlungen am meisten geärgert?

Meier: Vor 30 Jahren habe ich mich über die Meinungsfreiheit der Berater gewundert, wenn es darum ging, Spieler zu beurteilen. Ich fand, dass diese Expertise doch eher Trainern oder Scouts zugeordnet werden sollte. Damit einher ging die Frage, ob es rechtens ist, unlizenzierten Beratern für die Vermittlung eines Spielers eine Provision zu zahlen.

SPOX: Was heute gang und gäbe ist...

Meier: Natürlich. Durch das Knowhow, das die Spielerberater für ihre Klientel einbringen, lernt man auch als Manager immer wieder neue Spielarten kennen. Ein Berater will bei den Verhandlungen ja dann auch nicht nur den Transfer bewerkstelligen, sondern auch gleichzeitig die Möglichkeit weiterer Wechsel einläuten - beispielsweise durch eine festgeschriebene Ablösesumme. Anfangs versuchte ich das abzulehnen, da ich der Meinung war, damit auch sofort die Kündigung zu unterschreiben. Nur in wenigen Ausnahmefällen habe ich es später akzeptiert.

SPOX: Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, dass vor allem ausländische Berater nicht immer ganz koscher sind. Provokativ gefragt: Haben Sie schon einmal mit einem Ganoven verhandelt?

Meier: Ich habe in der langen Zeit sicherlich mit dem einen oder anderen etwas zwielichtigen Berater, in wenigen Fällen auch mit Beraterinnen, verhandeln müssen. Mir fällt aber vor allem eine Geschichte aus der Bundesliga ein: In den Anfängen des Beraterdaseins wurde schon einmal ein Spieler verlost.

SPOX: Inwiefern?

Meier: Das war zu Zeiten, als Günter Netzer noch für den HSV und Helmut Grashoff in Gladbach tätig waren, Wolfgang Holzhäuser agierte noch als Ligasekretär. Es gab damals in Frankfurt oft Managermeetings. Einmal hat dann ein Berater einen Spieler des MSV Duisburg - die beiden Namen erwähne ich aber nicht - angeboten. Doch der Berater kannte noch nicht einmal den genauen Namen des Spielers, hatte ihn aber dennoch bereits mehreren Vereinen vorgeschlagen. Irgendeiner unter uns Managern hatte dann die Idee, dem Berater ein Schnippchen zu schlagen und den Spieler zu verlosen. Unter der Prämisse: Wer den Spieler zieht, muss ihn auch nehmen - allerdings ohne Provision.

SPOX: Und wer hat die Verlosung "gewonnen"?

Meier: Der Spieler hätte eigentlich zum VfB Stuttgart gehen müssen. Das ist aber nie realisiert worden, weil er sich kurz zuvor einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Es gab innerhalb der Liga auch einmal ein Frühstückskartell, das beschlossen hatte, mit bestimmten Beratern nicht mehr zu verhandeln - unter anderem mit dem berüchtigten Holger Klemme. Das war sozusagen ein Gentlemen's Agreement unter uns Managern. Durch unsere gegenseitige Solidarität haben wir solche Typen aus dem Bundesliga-Geschäftsbereich raushalten können.

SPOX: Wie stressig war denn immer der 31. August, der letzte Tag der Sommer-Transferperiode?

Meier: Im Normalfall ist das natürlich ein sehr arbeitsreicher Tag, ganz egal, ob man kauft oder verkauft. Es gab aber auch Jahre, in denen man frühzeitig seinen Kader zusammen hatte. Es gab aber immer mal wieder Situationen wie Verletzungen, Formkrisen oder plötzlich wechselwillige Spieler, die die eigene Planung torpediert haben. Jörg Heinrich hat uns in Dortmund damals kurz vor Toresschluss erklärt, dass er unbedingt nach Florenz möchte. Für ihn haben wir zwar 25 Millionen Mark erzielt, aber das musste man natürlich kompensieren und hat den 31.8. nochmal interessanter gemacht als geplant.

SPOX: Welcher war der schwierigste Transfer, den Sie zu bewerkstelligen hatten?

Meier: Jorginhos Wechsel von Flamengo nach Leverkusen. Jorginho hatte eine festgeschriebene Ablösesumme in seinem Vertrag, die mit einer künstlichen Währung versehen war. Das war eine Parallelwährung zur existierenden Nationalwährung Brasiliens. Damit wollte man die Inflationsrate, die damals in diesem Land herrschte, interpolieren. Niemand konnte aber genau sagen, wie hoch die umgerechnete Ablösesumme in der Nationalwährung ist, zumal sich die Parallelwährung auch noch veränderte während der Vertragslaufzeit. Das Ziel Flamengos in diesem Wirrwarr war letztlich, den Transfer damit zu verhindern. Nach zwei Wochen der Verhandlungen in Brasilien und zahlreichen unmoralischen Angeboten von Präsidiumsmitgliedern und Spielerberatern konnte ich ihn am Ende für zwei Millionen Dollar - inklusive Gehalt für drei Jahre - nach Deutschland lotsen. Meine Hartnäckigkeit und die Sturheit hatten sich ausgezahlt (lacht). Das ist übrigens eine Qualität, die uns Westfalen auszeichnet. Hier zum Wohle von Bayer Leverkusen.

SPOX: Gibt es sonstige kuriose Dinge, die einem als Manager den Alltag erschweren?

Meier: Klar. Vier Beispiele: Bebeto hatte in Dortmund unterschrieben und ist dann zu La Coruna gegangen, weil ihn der Präsident vor Ort in Brasilien nochmal bearbeitet hatte. Wir haben damals zwar die FIFA eingeschaltet und auch eine Entschädigung, aber nicht den Spieler bekommen. Gordon Strachan von Aberdeen hatte in den 1980er Jahren in Köln unterschrieben, wechselte aber zu Manchester United. Gladbachs Heiko Herrlich hatte eine mündliche Zusage von Rolf Rüssmann, dass er zu einem bestimmten Preis wechseln durfte. Letztlich haben wir beim BVB für ihn eine höhere Ablöseentschädigung gezahlt als vereinbart. Mit Marek Lesniak , der sich in Zeiten des planwirtschaftlich geprägten Ostblocks in Dänemark von seinem Klub Richtung Leverkusen abgesetzt hatte, bin ich als "lebende Geisel" gemeinsam nach Polen zurückgereist, um den Eindruck zu erwecken, dass er nicht geflohen war, sondern sich lediglich zu einer medizinischen Untersuchung in Leverkusen aufgehalten hatte. Er hat in Polen unter meiner Begleitung noch drei Meisterschaftsspiele absolviert, während ich über die Modalitäten eines legalen Wechsels nach Leverkusen verhandelte.

SPOX: Möchten Sie solche Momente noch einmal erleben oder haben Sie mit einer Rückkehr als Manager ins aktive Geschäft abgeschlossen?

Meier: Abgeschlossen habe ich gar nichts, aber ich spekuliere auch nicht. Es ist auch nicht ganz einfach, überhaupt noch ein Angebot zu finden, das für mich von Interesse sein könnte. Ich war ja nicht bei irgendwelchen namenlosen Vereinen angestellt. Es ist einerseits ein faszinierendes Geschäft, das mir immer sehr viel Freude bereitet hat. In der Rückschau bin ich dankbar, dabei gewesen zu sein. Deshalb schließe ich auch nichts aus. Ich muss aber nicht um jeden Preis wieder anfangen.

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