Geduld Du haben musst!

Von Dominik Geißler
Sebastian Vettel wartet seit 22 Rennen auf einen Sieg
© getty

Mit großen Erwartungen gestartet verläuft die Formel-1-Saison 2016 für Sebastian Vettel zunehmend schlechter. Vor dem Großen Preis von Japan (alle Sessions im LIVETICKER) zeigt der Ferrari-Pilot Schwächen, die öffentliche Kritik und Zweifel am Michael-Schumacher-Erben sind größer denn je. Nun muss er auf eine ganz besondere Tugend bauen.

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"Sebastian lacht nicht mehr", titelte La Repubblica und fragte: "Hat Vettel sein Talent und seine Geschwindigkeit verloren?" Der Corriere della Sera war sich sicher, dass "Ferrari dringend einen erfolgreicheren Piloten braucht" und die Gazzetta dello Sport diagnostizierte: "Sebastian stürzt in die Krise. Man kann fast schon von einem Vettel-Syndrom sprechen."

Ja, die italienische Presse ging schon einmal liebevoller mit Sebastian Vettel um. Selten attackierte sie den viermaligen Weltmeister so vehement wie nach dem Großen Preis von Malaysia. Selten zweifelte sie so stark an ihm wie nach dem Start-Crash mit Nico Rosberg.

Vettel fuhr dem Mercedes-Piloten nicht nur ins Heck und warf ihn weit zurück. Er zerstörte durch die Kollision auch sein eigenes Rennen. Mit Aufhängungsschaden musste er seinen Ferrari nach nur wenigen Metern abstellen. Zusätzlich bekam er von den Rennstewards eine Strafversetzung von drei Startplätzen für den Japan-GP.

"Ich habe nichts Dummes versucht"

Eine Entscheidung, die Vettel auch Tage nach dem Vorfall nur bedingt versteht. "Ich habe nichts Dummes versucht. Es war ein kleiner Fehler, der dann doch sehr hart bestraft wurde", sagte der 29-Jährige am Donnerstag. Die heftige Kritik an seiner Person lasse ihn aber sowieso kalt: "Ich lese nicht viel. Ich kann zwar lesen, aber ich lese dann doch eher andere Sachen."

Nichtsdestotrotz: Mit 153 Punkten fiel Vettel auf Platz fünf der Fahrer-WM zurück. Nun sind nicht nur Rosberg (288), Lewis Hamilton (265) und Daniel Ricciardo (204) im Ranking weit enteilt, auch der zeitweise schon abgeschriebene Teamkollege Kimi Räikkönen (160) liegt mittlerweile vor dem Heppenheimer.

Was vorher schon so gut wie klar war, ist jetzt auch rechnerisch entschieden: Vettel kann in dieser Saison nicht mehr Weltmeister werden.

"Er setzt sich zu sehr unter Druck"

"Er muss mit sich selbst ins Reine kommen", analysierte Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda daraufhin bei auto, motor und sport: "Er ist zu aggressiv und haut sein eigenes Rennen gleich weg. Er setzt sich zu sehr unter Druck, um das Tempo des Ferraris, das er im Moment nicht hat, wieder wettzumachen."

Genau hier liegt das Problem. Während Mercedes auf dem besten Weg zur erneuten Titelverteidigung ist, hat Red Bull spätestens mit dem Doppelsieg in Sepang der Scuderia den Rang abgelaufen. Die Konkurrenz macht Fortschritte, Ferrari tritt auf der Stelle. 43 Punkte Rückstand auf die Bullen sprechen eine klare Sprache.

Zwar berichten die Fahrer von einer guten Fahrbarkeit des SF16-H, doch fehlt sowohl im Qualifying als auch im Rennen der nötige Speed. Ein Umstand, der dem so ehrgeizigen Vettel alles andere als zusagt. "Ich verstehe nicht, wie ihr das Auto so schlecht ausbalancieren könnt", giftete er im Freitagstraining zum Malaysia-GP in Richtung Team.

Erst top, dann flop

Dabei hatte die Saison, die den ersten Ferrari-Titel seit 2007 bringen sollte, eigentlich gut begonnen. Mit fünf Podiumsplatzierungen aus den ersten acht Rennen startete Vettel erfolgreich in sein zweites Ferrari-Jahr, schrammte beim Großen Preis von Kanada im Juni nur knapp am Sieg vorbei. 96 Punkte sammelte er in dieser Zeit.

Seit seinem Reifenplatzer mit Ausfallfolge zwei Wochen später in Österreich ging es dann bergab. Bis auf ein Podium beim Heimrennen in Monza und einem überzeugenden Rennen in Singapur ging in den acht weiteren GPs nicht mehr viel. Lediglich 57 Punkte kamen noch auf Vettels WM-Konto hinzu.

Entsprechend weiß er auch, dass Ferrari die Ziele - mal wieder - verfehlt hat: "Wir sind natürlich nicht da, wo wir sein wollen. Aber wir wollen jetzt alles versuchen, um den Spieß wieder umzudrehen."

Zweifel an Schumi 2.0

Ob das bald gelingt? Fraglich. Schließlich steht Vettel so schlecht da wie lange nicht. Auf einen Sieg wartet der erfolgsverwöhnte Ex-Red-Bull-Pilot nun schon seit 22 Rennen - Negativrekord in seiner zehnjährigen Formel-1-Karriere.

Überhaupt ist von dem Mythos des heilsbringenden Deutschen, den im Vorjahr ganz Italien mit offenen Armen empfangen hat, wenig übrig geblieben. Mit drei Siegen lieferte Vettel noch eine gute Debüt-Saison im roten Renner ab. Doch mit der Stagnation bei Ferrari begann auch beim 42-fachen GP-Sieger der Negativstrudel in Form von einfachen Fehlern und schwachen Ergebnissen.

Wenig verwunderlich, dass da bei den emotionalen Tifosi schon erste größere Zweifel aufkommen: Ist Vettel wirklich der erhoffte Schumi 2.0? Kann er das Ruder wirklich wie Michael Schumacher herumreißen und das stolze Traditionsteam zurück an die Spitze führen?

Geduld heißt die Devise

Es sind Vergleiche, die in der Natur der Sache liegen - und trotzdem nur bedingt fair sind. Zum einen benötigte der Rekordweltmeister immerhin vier Jahre bei der Scuderia, bis er die Formel 1 ab 2000 dominierte und zu fünf Titeln in Serie fuhr.

Zum anderen hatte Schumacher mit Ross Brawn und Jean Todt zwei kongeniale Partner an seiner Seite, die Vettel fehlen. Während die derzeitige Konkurrenz um Mercedes und Red Bull Männer wie Paddy Lowe und Toto Wolff beziehungsweise Adrian Newey und Christian Horner in ihren Reihen hat, fehlt bei Ferrari der starke Mann. Im Sommer erst hat Technikchef James Allison den Rennstall verlassen.

Vettel bleibt also in erster Linie nur zu hoffen, dass sich Ferrari im Rahmen der großen Regeländerungen 2017 wieder besser positioniert und ihm ein konkurrenzfähigeres Auto hinstellt. Dafür braucht er Geduld. Bringt er diese mit, wird er wohl auch zu alter Form zurückkehren und einfache Fehler vermeiden. Es gilt, die goldene Mitte des Fahrens wiederzuentdecken.

"Man versucht natürlich, immer alles aus dem Auto herauszuquetschen. Manchmal pusht man zu viel. Das ist menschlich. Manchmal pusht man zu wenig, also muss man den Mittelweg finden", erklärte Vettel die Krux. Dass er früher oder später aber wieder erfolgreich wird, da ist sich auch Lauda sicher: "Er findet schon wieder zu sich zurück und macht diese Fehler nicht mehr."

Gelingt ihm das nicht, wird spätestens im nächsten Sommer die Gerüchteküche brodeln. Ende 2017 läuft Vettels Vertrag bei Ferrari nämlich aus.

Formel 1: Kalender und WM-Stand 2016 im Überblick

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