Die eigenen Ansprüche waren hoch. "Bei deinem Heimrennen vorne zu sein, ist eine der schönsten Erfahrungen, die du als Sportler haben kannst", erklärte Hamilton schon bevor die Autos zum ersten Mal im Freien Training auf die Strecke gingen: "Wir sind beim Großbritannien-GP und ich werde alles geben, um vorne zu liegen."
Letztlich machte er seine Ankündigung nicht wahr. Im zweiten Sektor seiner finalen Qualifying-Runde brach er aus freien Stücken den Versuch ab, ließ Rosberg vorbei und steuerte sein Auto an die Box. Die schlechteste aller möglichen Varianten: Rosberg zog durch, weil er wusste, wie schnell in Silverstone das Wasser abfließen kann und sicherte sich die Pole Position.
"Um es auf den Punkt zu bringen: Er hat heute absolut Pech gehabt. Er hat den schnell abtrocknenden Kurs nicht richtig erkannt", sagte Niki Lauda zu "Motorsport-Total". Dass Silverstone für Wetterkapriolen berühmt ist, dürfte allerdings bekannt sein. Zudem gab die FIA schon zuvor bekannt, dass die Drainage in diesem Jahr verbessert wurde.
Hamilton hätte es wissen müssen
Hamilton hätte einfach weiterfahren müssen, schließlich hatten selbst die Marussia in Q1 für Aufsehen gesorgt, indem sie im richtigen Moment am richtigen Ort waren. Dass die Streckenbedingungen sich innerhalb von zehn Minuten ändern, ist keine Seltenheit - erst recht auf der zweitlängsten Strecke des Formel-1-Kalenders. Schon vor dem Beginn der letzten Runde konnten die Fahrer nach eigenem Bekunden spüren, dass der Grip im dritten Sektor zugenommen hatte.
Immerhin nahm Hamilton die Verantwortung für den Fehler, an die Box zu fahren, auf sich. Weil auch alle anderen Piloten, die ihre Runde beendeten, sich durch den trockenen Schlusssektor extrem verbessertem, stehen sie nun in der Startaufstellung allesamt vor dem Engländer, der nur als Sechster ins Rennen geht - und Jenson Button nahm ihm als Drittplatzierter auch noch den Jubel seiner britischen Landsleute.
Jenson Button im Zwiespalt: Trauer in Pink
Mittlerweile häufen sich die Fragen, warum Rosberg sich regelmäßig gegen seinen Teamkollegen durchsetzt. Von der teilweise prognostizierten Dominanz des Ex-Weltmeisters ist derzeit nichts zu sehen. Stattdessen unterstreicht Rosberg seine Ambitionen Rennen für Rennen, indem er sich kontrolliert an das Maximum herantastet. Ausritte in die Auslaufzone? Eigentlich nie.
Datenkrieg beendet?
Der teaminterne Wettbewerb ist noch immer auf einem Hoch, auch wenn seit Monaco keine öffentlichen Diskussionen mehr geführt werden. Stattdessen lief hinter verschlossenen Türen bis zu diesem Wochenende ein Datenkrieg.
"Wir hatten bei den letzten Rennen die Situation, dass wir nach Feedback zum Setup gefragt haben", beschrieb Motorsportdirektor Toto Wolff gegenüber dem "Mirror" die Teammeetings mit den Fahrern: "Sie sagten: 'Nope.' Gibt es etwas, das ihr sagen wollt? Nope. Als das Meeting aber vorbei war, haben sie sich in detaillierte Diskussionen mit ihren Ingenieuren gestürzt."
Die Geheimhaltung soll jetzt vorbei sein. Trotzdem hatte Rosberg die Nase vorn. Dass es Hamilton nach seinen vier Seriensiegen zu Saisonbeginn nicht gefällt, dass er negativ auffällt, während sein Teamkollege die Lorbeeren einheimst, wurde nach dem Qualifying abermals deutlich. Der 29-Jährige gab sich in den Interviews kurz angebunden und verzog sich schnellstmöglich ins Motorhome.
Gelingt Hamilton wieder ein Fabelstart?
"Er ist wohl frustriert", erklärte Wolff: "Es ist schade, dass er zu Hause mit einem minimalen Fehler auf Rang sechs landet. Das ist ärgerlich, aber eben nur der Samstag." Ein berechtigter Einwand, schließlich präsentierte sich Hamilton schon nach seinen Fahrfehlern in Spielberg am Sonntag in glänzender Verfassung und schob sich innerhalb der ersten Runde von Startplatz neun auf Rang vier.
In Silverstone soll es nun ähnlich laufen. Allerdings kommt die Streckencharakteristik einem solchen Sprint nicht wirklich entgegen. Es fehlen die harten Bremsmanöver, allerdings könnte Hamilton auch in den schnellen Kurven einen Geschwindigkeitsüberschuss aufbauen, um auf den Geraden vorbeizuziehen. Besonders gegen die ebenfalls von Mercedes angetrieben Force India und McLaren von Nico Hülkenberg und Jenson Button könnte das der Schlüssel zu einem schnellen Überholmanöver sein.
Doch auch über die Reifentaktik ist einiges möglich: Von einem einem bis drei Stopps reicht die Palette, nur für Hamilton ist der strategische Ansatz unattraktiv. "Ich muss so einen Start wie vor zwei Wochen in Österreich haben. Danach muss ich mit Vollgas in Richtung Spitze stürmen", bestätigt Hamilton: "Man weiß ja nie, was vielleicht alles passiert." Sein einziges adäquates Ziel ist schließlich, den eigenen Teamkollegen zu besiegen.
Rosberg ist im Trockenen der Schnellste
Mit einem Sieg in England würde der Vorsprung von Rosberg auf mindestens 36 Punkte anwachsen, vorausgesetzt Hamilton wird Zweiter. Der Kampf um den Sieg scheint bei regulären Bedingungen eher unwahrscheinlich, schließlich sollte sich Rosberg bereits nach dem Start ein Polster herausarbeiten und danach seine Longrun-Pace ausspielen - am Freitag war er von allen Piloten der schnellste.
Allerdings gilt das nur bei Trockenheit. Die Wettervorhersage für Sonntag hat sich jedoch geändert. Wurde am Donnerstag noch ein komplett trockenes Wochenende prognostiziert, so soll mittlerweile nach einem trockenen Start und einer Stunde Renndauer ein Gewitter aufziehen. Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt über 70 Prozent.
Auf Niederschlag hofft aber nicht nur Hamilton, sondern vor allem auch Sebastian Vettel, der dadurch die Schwäche des Renault-Antriebs besser kompensieren könnte. Die in Silverstone und vor allem im Regen wichtigere Aerodynamik bevorzugen den Red Bull noch immer. "Man muss sich überwinden und ein gewisses Risiko eingehen, sonst fahren alle anderen schneller", sagte der Weltmeister und lächelte: "Ich freue mich aufs Rennen. Wenn es nass wird, würde es mich nicht stören."
Stand in der Fahrer- und Kontrukteurs-WM