Dieser Artikel wurde im November 2014 zum ersten Mal veröffentlicht. Zum 25-jährigen Jubliäum von Schumachers erstem WM-Titel blickt SPOX nochmals zurück.
"Für mich war immer klar, dass ich diese Weltmeisterschaft nicht gewinne, dass Ayrton diese Weltmeisterschaft gewonnen hätte. Aber er war bei den letzten Rennen nicht da. Deshalb möchte ich... diese Weltmeisterschaft nehmen und sie ihm geben", erklärte der frischgebackene erste deutsche Champion auf der anschließenden Pressekonferenz. Dass er es ehrlich meinte, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Den Titel gönnten ihm nicht alle. Die britischen Medien warfen dem 25-Jährigen vor, er habe Weltmeistersohn Hill absichtlich gerammt. Schließlich war Schumacher mit einem Punkt Vorsprung ins Saisonfinale gegangen und wurde in den ersten 35 Runden erbarmungslos vom Engländer unter Druck gesetzt. Doch Schumacher hielt sich nur an das Rennfahrer-Gesetz schlechthin: Wer vor der Kurve vorn ist, dem gehört sie.
Als er in East Terrace neben die Strecke kam und die Mauer berührte, war der kleine Vorsprung weg und Hill witterte die Chance zum entscheidenden Überholmanöver. Er zog vor Turn 6 auf die rechte Innenbahn, doch Schumacher nahm die Kurve normal. Die Wagen berührten sich, Schumacher hob ab und knallte in den Reifenstapel. Sein Rennen war beendet, der ersehnte Titel scheinbar verloren.
Bange Minuten hinter dem Fangzaun
Der Deutsche stand minutenlang am Fangzaun, während Hill seinen Weg fortsetzte, und hielt seinen Unterarm schützend vors Gesicht. Doch Hill musste in die Box, wo die Mechaniker verzweifelt versuchten, die Vorderradaufhängung seines Williams wieder geradezubiegen, während der Fahrer mit dem Kopf schüttelte.
Als Hill ausstieg, den Helm abnahm und in der Box eine entgeisterte Miene präsentierte, war die WM entschieden.
Die Streckenposten teilten Schumacher mit, dass er die Jahresabrechnung als erster Deutscher überhaupt für sich entschieden hatte, während Nigel Mansell im ursprünglich Senna zugedachten Auto seinen letzten von 31 Grands-Prix-Siegen holte. Williams verzichtete auf einen Protest, eine der denkwürdigsten Saisons in der langen Formel-1-Geschichte hatte ihr dramatisches und unerwartetes Ende gefunden.
Vor dem Saisonstart hatte Schumacher damit nicht gerechnet. "Der Wagen hat einen guten Leerlauf", war die positive Reaktion nach den ersten Testfahrten mit dem Benetton-Ford B194 in Silverstone. Leerlauf? Grund zum Jubeln?
"Ein guter Leerlauf ist viel wichtiger, als die Leute glauben. Immer, wenn man sich gedreht hat, ist die Gefahr besonders groß, dass der Motor abstirbt", erklärte der Kerpener: "Da wir ohne externe Starter den Motor nicht mehr anbekommen, ist das Rennen dann zu Ende. Je besser der Leerlauf, desto geringer die Gefahr, dass ein Dreher das Aus bedeutet."
Regeländerungen schwächen Williams
Rennsiege waren das Ziel, sicher. Das Verbot allerlei elektronischer Hilfsmittel wie Traktionskontrolle, Startautomatik, aktive Aufhängung, ABS schwächte schließlich Technik-Pionier Williams. 1993 hatte Schumacher selbst in Monaco 1,2 Sekunden auf einer Runde gewonnen, als er sein Auto mit und ohne das Anti-Schlupf-Programm ausprobierte. Nach den Verboten zur Saison 1994 kam Benetton deshalb näher an das vormals überlegene Team heran.
"Ich will Bester hinter den Williams werden", sagte Schumacher trotzdem: "Senna ist der haushohe Favorit. Er ist der beste Fahrer im besten Chassis mit dem besten Motor." Während der dreifache Weltmeister mit Renault-Power unterwegs war, hatte Schumacher noch immer Ford-Motoren. Immerhin brachten die US-Amerikaner mit dem Zetec-R eine Neuentwicklung an den Start, die 30 PS mehr leistete als das Vorjahresmodell.
Doch interessant war auch das Aerodynamik-Duell: Bei Benetton setzte Rory Byrne auf eine hohe Nase, während Williams die Spitze weiterhin bis zum Boden herunterzog. Dass sich das Konzept des Süafrikaners in den Folgejahren durchsetzte, zeigt eindeutig, dass die Höhe den Luftstrom und den Anpressdruck positiv beeinflusst.
Dauerhafte Reibereien mit Vorbild Senna
Doch auch Schumacher brachte einige Vorteile mit: Er hatte mittlerweile zwei komplette Jahre Erfahrung bei Benetton - zwei Jahre voller Duelle mit dem McLaren-Pilot Senna. "Fahrerisch ist er mein Vorbild. Aber persönlich? Dazu kann ich nichts sagen. Ich kenne ihn ja kaum", ging der Deutsche schon bei seinem vierten Rennen in Barcelona deutlich auf Distanz. Die Bewunderung wich schnell.
1992 polterte der Kerpener auf der offiziellen Pressekonferenz in Brasilien: "Senna hat mit uns ein schmutziges Spiel gespielt. Speziell an den Ecken, wo man nicht überholen kann, ist er absichtlich langsam gefahren, hat unnötig gebremst. Er wollte offenbar provozieren, mich und die anderen Fahrer hinter sich in eine unüberlegte Aktion, einen Fehler hetzen. Ich verstehe nicht, was das soll. Das ist eines dreifachen Weltmeisters unwürdig."
Die verbale Attacke trieb Senna zur Weißglut. Ein Jungspund aus dem Mercedes-Langstrecken-Juniorenprogramm, vollkommen unerfahren, attackierte ihn - den besten Fahrer der Welt. Keiner der Beiden wollte anschließend einen Fehler eingestehen.
Senna: "Er ist nur ein dummer Junge"
Senna bekundete später in privater Runde: "Mir kann es doch im Prinzip egal sein, was er redet. Er ist doch nur ein dummer Junge." Das Zitat kam nach dem Crash in Frankreich an die Öffentlichkeit, als Schumacher Senna in der ersten Runde viel zu optimistisch attackierte und damit dessen Ausfall auslöste.
Zwei Wochen später folgte der endgültige Eklat. Bei Testfahrten in Hockenheim fühlte sich der Deutsche provoziert, als Senna ihn vorbeiwinken wollte. Im Motodrom trat er kurz und heftig auf die Bremse. So weisen in der damaligen Formel 1 nur die Arrivierten die Neulinge in die Schranken.
Senna war außer sich und stürmte in der Boxengasse zur Benetton-Box, packte Schumacher am Overall-Kragen. Die hinterhergerannten McLaren-Mechaniker verhinderten gerade noch eine Prügelei. "Vielleicht wollte er mir eine Halsmassage verpassen", grinste Schumacher schon in der Mittagspause über den Vorfall.
Persönliche Differenzen ausgeräumt
Die Eskalation hatte aber positive Konsequenzen: Später klärten beide ihre Zwistigkeiten im Benetton-Motorhome unter vier Augen. "Es gab da eine Menge Missverständnisse. Es war gut, dass wir darüber geredet haben. Ich glaube, es ist alles aus der Welt geräumt", erklärte Schumacher.
Senna stimmte ein: "Es ist wichtig, miteinander zur reden. Ich hoffe, dass wir die Probleme aus der Welt geschafft haben. Solche persönlichen Differenzen sind für keinen von uns gut. Sie richten nur Schaden an. Deswegen wollte ich sie ausräumen. Ich hoffe, das ist jetzt gelungen."
Anschließend zollten sich beide Respekt, selbst wenn sie auf der Strecke aneinandergerieten. Schumachers Ziel, das Denkmal zu stürzen und selbst die Nummer 1 zu werden, konnte nur auf der Strecke gelingen. 1994 schon machte er sich an die Umsetzung.
Schumacher siegte beim Auftakt in Sao Paulo, während sich Senna einen seiner seltenen Fahrfehler leistete und ausschied. Auch beim Pazifik-GP im japanischen Aida siegte der Deutsche, während der Brasilianer nach einer Startkollision abermals leer ausging.
Sennas Tod raubt Schumacher den Maßstab
Doch die Jagd wurde abrupt beendet. Der schreckliche Unfall zum Europaauftakt beim San-Marino-GP in Imola nahm Schumacher die Chance, seinen Konkurrenten auf der Strecke zu schlagen. "Ayrton Senna war in seinem Können über jeden Zweifel erhaben. Es war diese Absolutheit, die ihn prädestiniert erscheinen ließ, uns jungen Fahrern als Maßstab zu gelten", schrieb Schumacher später in seiner Biografie.
Und weiter: "So undurchdringlich und unüberschaubar die Formel 1 auch sein mag: Wer einen Ayrton Senna auf der Strecke schlagen konnte, musste zu den Besten gehören. Für alle, die in den letzten Jahren in die Formel 1 kamen, war Senna das Ziel und der Anspruch. Sein Tod hat uns den Maßstab genommen."