"Tony Martin kann die Tour gewinnen"

Von Interview: Torsten Adams
Der Spanier Miguel Indurain gewann ab 1991 fünf Mal in Folge die Tour de France
© Getty

Miguel Indurain ist einer der größten Radsportler aller Zeiten. Mit fünf Siegen bei der Tour de France, zwei Triumphen beim Giro d'Italia, je einem Olympiasieg und einer Weltmeisterschaft im Einzelzeitfahren sowie einem Stundenweltrekord steht der 47-jährige Spanier auf einer Stufe mit Eddy Merckx, Lance Armstrong und Bernard Hinault. Heute setzt er sich für die Laureus-Stiftung ein. Im Interview mit SPOX spricht Indurain über sein soziales Engagement, das Pyrenäen-Duell mit seinem Sohn, seinen Umgang mit Kritik und Tony Martins Chancen auf den Toursieg.

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SPOX: Herr Indurain, ich erreiche Sie gerade in der Normandie in Nordfrankreich. Sie sind mitten im "London to Paris Bike Ride". Erklären Sie uns, was Sie dort machen.

Miguel Indurain: Der "Bike Ride" ist eine großartige Laureus-Initiative, an der sich jedermann beteiligen und gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: Drei Tage durch wundervolle Landschaften radeln und dazu noch Geld für eine große Sache beisteuern.

SPOX: Als einer von 47 Laureus-Botschaftern übernehmen Sie die Schirmherrschaft für den "Bike Ride". Was genau passiert mit dem Geld?

Indurain: Die Laureus Foundation unterstützt verschiedene Projekte auf der ganzen Welt. Wir bauen Fußballschulen im Irak, errichten Skate Parks in Südafrika oder unterstützen die Bevölkerung im Tsunami-Gebiet von Sri Lanka. Überall dort bilden wir die notwendigen Strukturen, um den sozialen Wandel durch Sport zu forcieren.

SPOX: So wie Sie engagiert sich auch Toursieger Cadel Evans in verschiedenen Charity-Projekten. Viele vergleichen ihn ja sogar mit Ihnen.

Indurain: Evans mit mir? Warum?

SPOX: In den Bergen konnte ihn niemand abschütteln und durch sein starkes Zeitfahren hat er sich den Toursieg geholt.

Indurain: Für jeden potenziellen Toursieger gilt, dass er konstante Leistungen bringen muss. Du darfst dir keine Schwäche erlauben - in keiner Disziplin. Evans war in diesem Jahr sowohl in den Bergen als auch im Zeitfahren stark, von daher geht der Vergleich in Ordnung. (lacht)

SPOX: Ist Evans momentan der kompletteste Fahrer im Straßenradsport?

Indurain: Schwierig zu beantworten. Der Radsportkalender ist mittlerweile derart aufgebläht und die Saison extrem lang. Philippe Gilbert beispielweise hat schon im Frühjahr geglänzt - und triumphiert im Oktober immer noch. Das imponiert mir. Was man aber sagen kann: Bei der Tour war Evans der kompletteste.

SPOX: Wie hat sich das Anforderungsprofil an einen Toursieger im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit geändert?

Indurain: Der größte Unterschied zu früher besteht in der Globalisierung des Radsports. Heute werden große Rennen in Australien, Amerika und sogar in Asien veranstaltet. Als Konsequenz daraus spezialisieren sich die Profis immer mehr. Klassikerjäger fahren überwiegend Eintagesrennen, Rundfahrtspezialisten bereiten sich schon im Winter ausschließlich auf die Grand Tours vor. Sie bestreiten wenige Rennen im Frühjahr, sind aber zum Giro oder zur Tour auf Ihrem Leistungshöhepunkt. Evans macht das seit Jahren so. Und auch Lance Armstrong sah man früher in Europa meistens erst, wenn die Tour begann.

SPOX: Auch Contador fährt im Frühjahr verhältnismäßig wenige Rennen, um sich auf Giro und Tour vorzubereiten. In Italien siegte er, in Frankreich enttäuschte er. Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, mehrere große Rundfahrten in einer Saison zu gewinnen?

Indurain: Klar, grundsätzlich ist das machbar. Aber: (lässt eine lange Pause) Die Geschichte musst du extrem gut planen. Das Training muss maßgeschneidert sein, die Regenerationsphasen penibel abgestimmt werden. Und während der Rundfahrt muss alles perfekt passen. Die kleinste Verletzung, ein unglücklicher Sturz, und alles ist vorbei. Wenn nur eine Kleinigkeit schiefgeht, kann das schon den Sieg kosten.

SPOX: Bei den Schlecks waren es in diesem Jahr die Abfahrtsschwäche gepaart mit Defiziten im Zeitfahren, die sie am Toursieg hinderten. Wie bewerten Sie die Fusion von Leopard mit RadioShack? Wettbewerbsverzerrung oder die einzige Chance für die Schlecks, doch noch die Tour zu gewinnen?

Indurain: Ich sehe die Zusammenarbeit der beiden Teams als eine Folge der Globalisierung des Radsports. Mit Cancellara, Klöden oder den Schlecks haben sie Fahrer, die in fast jeder Disziplin um den Sieg mitfahren können. Mit diesem Team wird es möglich sein, zeitgleich Rennen auf mehreren Kontinenten zu bestimmen.

SPOX: Sieht nach einem langweiligen Jahr 2012 aus...

Indurain: Nein, nein, keine Angst. Andere Teams werden nachziehen. Quick Step und Omega Pharma-Lotto gehen ja bereits den gleichen Weg. Durch die Krise im Radsport sind die Teams dazu gezwungen zusammenzuarbeiten, denn die Sponsorensuche ist viel schwieriger als noch vor ein paar Jahren.

SPOX: Kommen wir vom Profiradsport zu Ihrem Privatleben. Wie oft steigen Sie noch aufs Rad?

Indurain: Durchaus noch mehrmals in der Woche. Ich liebe den Radsport noch genauso wie früher. Mit dem Unterschied, dass ich kein Profi mehr bin, sondern nur noch fahre, wenn mir danach ist.

SPOX: Fahren Sie immer noch so defensiv wie früher?

Indurain: Wie bitte?

SPOX: Ihre Kritiker haben Ihnen damals vorgehalten, am Berg nie angegriffen, sondern nur das Hinterrad Ihrer Konkurrenten im Blick gehabt zu haben.

Indurain: Meine Stärke war das Zeitfahren. Mir war klar, dass ich dort Zeit gutmachen und sie in den Bergen verteidigen musste. Wenn Außenstehende das als defensive Fahrweise angesehen haben: bitteschön! Ich habe das nicht, sondern es war meine Strategie, um Rennen zu gewinnen.

SPOX: Mit Ihrem Sohn sind Sie häufig mit dem Rennrad in den Pyrenäen unterwegs. Wer ist der bessere Kletterer?

Indurain: (lacht) Noch schlage ich ihn. Aber wohl nicht mehr lange.

SPOX: An ein Comeback a la Armstrong haben Sie also nie gedacht?

Indurain: Nein.

SPOX: Das kam schnell und bestimmt.

Indurain: Absolut. Ich freue mich immer, wenn ich nach Frankreich zurückkomme. Allerdings nur wie jetzt als Laureus-Botschafter oder als Zuschauer im Juli zur Tour.

SPOX: In den letzten Jahren wurde Tony Martin immer wieder als angehender Toursieger gehandelt. Ist ein Triumph bei der Frankreich-Rundfahrt für ihn realistisch?

Indurain: Auf jeden Fall. Vielleicht noch nicht im nächsten Jahr und auch nicht 2013. Aber er hat das Talent und auch den Motor dazu. Allerdings muss er seine Strategie wechseln, um die Tour zu gewinnen. Den ersten Schritt dazu hat er mit dem Wechsel zu Quick Step getan. Dort ist er Kapitän und kein Sprintanfahrer für Cavendish mehr. Zudem muss er sein Training umstellen und am Berg konstanter werden. Und vielleicht ein paar Kilo abnehmen, weil in den Anstiegen jedes Gramm Gewicht zählt. Das geht allerdings zulasten seiner Zeitfahrqualitäten. Er wird sich also entscheiden müssen.

Miguel Indurain im Laureus-Steckbrief

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