Ćelo & Abdï
"Mein Maradona hieß Ronaldo"
Bundesliga, oder?
heißt es in der neuen SPOX-Interviewreihe, bei der ausnahmsweise keine Sportler und Funktionäre zu Wort kommen, dafür aber Musiker, Künstler oder Politiker. Wir sprechen mit ihnen über die schönste Nebensache der Welt und all den Wahnsinn, den der Sport sonst zu bieten hat. Den Anfang machen die zwei Frankfurter Rapper Celo & Abdi, die Ende letzten Jahres ihr viertes Studioalbum 'Diaspora' veröffentlichten und ab Februar auf große Deutschland-Tour gehen.
SPOX: Nach Eurer ersten Bundesliga-Erinnerung muss man Euch eigentlich nicht fragen, weil sie vermutlich mit der Eintracht zusammenhängt.
Abdi: Klar. Da habe ich vor allem das Tor von Jay-Jay Okocha gegen den Karlsruher SC vor Augen, als er die komplette Abwehr inklusive Oliver Kahn auseinandergenommen hat.
Celo: Ich möchte noch den Namen Jan Furtok in den Raum werfen. Das war ein Baba-Typ. Aber natürlich kommt mir sofort die glorreiche Frankfurt-Ära Anfang der 1990er Jahre in den Kopf.
SPOX: Sind das auch Eure ersten Erinnerungen, wenn Ihr daran zurückdenkt, wie Ihr mit Fußball in Kontakt kamt?
Abdi: Nein, da würde mir eher die WM 1990 in Italien einfallen.
Celo: Ich gehe noch vier Jahre zurück, Mexiko 1986. Ich war viereinhalb und erinnere mich noch an das schlechte TV-Bild im ZDF.
Abdi: Das war doch die WM, bei der Maradona so aufgezockt hat, oder?
Celo: Genau! Das war immer ein riesiges Ding. Damals hatten wir zu den Spielen fast immer Gäste zuhause. Freunde und Familie haben sich zusammen vor einen Röhren-TV gequetscht, man hat gegessen, getrunken und die Highlights waren die Auftritte von Maradona. Dazu kamen die Spiele von Jugoslawien. Das war damals unser Team. Zu der Zeit hatte man vor jedem Turnier noch berechtigte Hoffnung auf einen Erfolg. Heute ist zwar immer ein 'Jugo-Team' bei einem großen Turnier dabei, aber auf einen Titel hofft eigentlich niemand mehr.
Abdi: Ich bin froh, dass Marokko überhaupt wieder bei einer WM dabei ist. Seit 1998 haben wir darauf gewartet. Jetzt haben wir aber endlich wieder ein paar Jungs, die das Erbe von Mustapha Hadji & Co. antreten könnten: Medhi Benatia, Hakim Ziyech von Ajax, Younes Belhanda, Amine Harit von Schalke. Richtig gespannt bin ich auf die Entwicklung von Achraf Hakimi, der aus der Jugend von Real Madrid kommt.
SPOX: Wer waren die Idole Eurer Kindheit?
Celo: In Frankfurt gab es in erster Linie nur einen Namen: Jay-Jay Okocha. Das war echte Kunst am Ball. International habe ich immer auf Maradona geschaut.
Abdi: Ich bin ein bisschen jünger als Celo, aber bei mir war das ähnlich. Mein Maradona hieß allerdings Ronaldo. Das waren Spieler, die man unbedingt sehen wollte. Der letzte Spieler, der mich so gefesselt hat, war Ronaldinho. Aktuell schaue ich gerne Neymar zu, der jetzt nur leider nicht mehr für Barcelona spielt, weil Paris mal schnell den Rahmen gesprengt hat.
Celo: Bei mir kamen noch die Jugo-Spieler dazu, beispielsweise Safet Susic. Der wurde mit PSG Meister und Pokalsieger. Was viele gar nicht wissen: Susic wurde von den PSG-Fans sogar zum besten Spieler der Vereinsgeschichte und vor ein paar Jahren von der Ligue 1 zum besten ausländischen Spieler der Geschichte gewählt. Und das, obwohl bei PSG allein in den letzten 20 Jahren Spieler wie David Beckham, Ronaldinho oder Pauleta gespielt haben.
Abdi: Okocha war auch lange bei PSG!
Celo: Er war so etwas wie der Nachfolger von Susic. Als Susic richtig groß war, hat Okocha aber noch in Nigeria gespielt und ist anschließend zu Borussia Neunkirchen gewechselt. Danach ging es über Frankfurt und Fenerbahce nach Paris.
Abdi: ...und anschließend zu den Bolton Wanderers. Da hat er nochmal richtig gezaubert.
Celo: Okocha hat damals Style in die Premier League gebracht. Alleine schon die Cornrows. Das haben dann auch einige nachgemacht.
Abdi: Die haben das alle bei Craig David abgeschaut!
SPOX: Wie sah es denn mit Euren eigenen Karrieren aus?
Abdi: Ich habe lange im Verein und für einige Teams gespielt. Die Liste in meinem Spielerpass ist ziemlich lang.
Celo: Ich war nie im Verein aktiv. Fußball habe ich vor allem auf dem Schulhof gespielt. Mit Rucksäcken oder Jacken haben wir die Tore aufgestellt. Wenn kein richtiger Ball vorhanden war, musste ein kleiner Tennisball oder zur Not eine Cola-Dose herhalten. Sogar im Klassenzimmer haben wir gezockt, nach den kleinen Pausen mussten immer die Schulbänke wieder richtig hingestellt werden.
Abdi: Kennt Ihr noch "Bretterwand", bei dem man immer abwechselnd gegen die Wand schießen musste?
SPOX: Ich kenne noch "Luft". Das hieß aber überall anders. Wie nannte man das in Frankfurt?
Celo: "Hochhalten"! Manche haben es auch "Victory" genannt. Jeder hatte seine eigenen Regeln. Wie viele Punkte bringt ein Tor mit der Schulter oder wie viele Leben hat ein Spieler? Alleine die ganzen Diskussionen, ob der Torwart denn nun 'sicher' gehalten hat oder doch nicht. (lacht)
Abdi: Außerdem gab es noch "Schneller Sechzehner" oder "Mülltonne", was so ähnlich wie HORSE im Basketball war. Nicht zu vergessen "Solo", bei dem jeder gegen jeden gespielt hat. Oder "Rundlauf" um die Tischtennisplatte.
Celo: Man sollte ein Turnier veranstalten, bei dem die Fußballstars in diesen Schulhofdisziplinen antreten. Die großen olympischen Fußballspiele!
SPOX: Celo ist auch ohne Vereinskarriere im Fußball bei der Eintracht gelandet.
Celo: Mein Bruder hat damals Feldhockey gespielt, weil es in der Schule angeboten wurde. Das wollte ich dann auch ausprobieren. Der nächste Verein war mit dem FSV Frankfurt gleich um die Ecke. Wir waren nicht übermäßig erfolgreich und eher Chaoten. Das führte dazu, dass wir meist entweder mit 0:8 untergegangen sind oder immer mal wieder knappe 1:0- oder 2:1-Siege geholt haben. Ich war trotzdem einer der Führungsspieler und wurde irgendwann von einem Scout von Eintracht Frankfurt angesprochen. Abgesehen von den besseren Trainingsmöglichkeiten haben sie mich mit diesem geilen Puma-King-Trainingsanzug gelockt. Jede Abteilung hatte denselben Sponsor wie das Fußballteam, sodass ich mit dem Anzug inklusive Mitsubishi-Motors-Sponsor richtig auf dicke Hose machen konnte. Bei der Eintracht ist mir sogar noch der Sprung in die Hessenauswahl gelungen.
SPOX: Wie kam es zum Karriereende?
Celo: Mit 16 habe ich mir im Urlaub das Knie kaputt gemacht. Ich hatte bereits Knieprobleme und in Bosnien bei gutem Essen ein paar Kilo zugenommen. Bei irgendeiner Dummheit habe ich es überlastet und das war's.
SPOX: Verfolgst Du den Sport noch?
Celo: Ja, bei Olympia bleibe ich manchmal daran kleben. Ich bin mittlerweile total überrascht, wie schnell dieser Sport eigentlich ist. Auch wenn ich auf Amateurlevel gespielt habe, kam mir das gar nicht so schnell vor. Feldhockey ist zudem nicht ungefährlich. Ich weiß gar nicht, wie oft ich einen Ball beim Wegdrehen an den Rücken oder an den Kopf bekommen habe. Leider findet der Sport in Deutschland nur wenig Beachtung, da kaum Geld vorhanden ist. In Indien oder den Niederlanden sieht das anders aus. Dort gibt es riesige Stadien, die verwandeln sich regelmäßig in Hexenkessel.
SPOX: Welche Sportarten verfolgt Ihr sonst noch?
Abdi: Ich schaue hin und wieder NBA. Ich war letzte Saison bei den Lakers. Das war zwar sportlich nicht wirklich krass, aber die Show drum herum war schon beeindruckend. Vor allem war ich überrascht, wie dünn dieser Ingram ist. Dagegen ist Wiz Khalifa ein richtiges Tier. (lacht)
Celo: Ich bleibe manchmal auf Canal+ 3 bei Boule hängen. Das ist ein assiger Sport. Alle sind schick gekleidet und es herrscht eine faire Stimmung. Ein echter Gentlemen-Sport. Dabei kann man gut abschalten.
SPOX: Woran liegt es denn, dass vor allem Rapper aus Frankfurt immer wieder Ihre Liebe für die Eintracht zum Ausdruck bringen?
Celo: Warum gerade Frankfurter so sehr die Flagge im Rap für ihren Heimatverein hochhalten, kann ich gar nicht sagen. Wir waren und sind nun mal fußballverrückt und wollten das immer in unseren Texten zum Ausdruck bringen. Auch wenn wir selbst nicht immer gespielt haben, ist unser erstes Tape bei ProEvo zocken und Tiefkühlpizza entstanden.
Abdi: Außerdem waren die Eintracht und ihre Fanszene schon immer sehr multikulti. So wie Frankfurt nun mal ist. Das verbindet natürlich.
Celo: Andere Deutsch-Rapper haben früher von Touchdowns und Quarterbacks gerappt, weil sie sich stark am Ami-Lifestyle orientiert haben. Wir wollten der ganzen Sache eine europäische Perspektive geben. Wenn ich nicht völlig falsch liege, haben wir sogar vor den Franzosen schon Fußball-Klamotten getragen.
SPOX: Und heute läuft jeder damit rum.
Celo: Verrückt, oder? Deshalb rappe ich auf unserem neuen Album: "Zu einer Zeit, wo jeder XL-Baggys trug, und alle dachten, PSG sei ein Schnellzug..." Schon in unserem zweiten Video trug ich einen PSG-Trainingsanzug. Den hat mir damals unser Manager Syn klargemacht. Heute gibt es kaum noch ein Rap-Video aus Deutschland, in dem kein Barcelona-, ManUnited oder PSG-Trikot zu sehen ist.
SPOX: In diesem Moment trägst Du ein AS Rom-Jersey. Vermutlich wegen Edin Dzeko, oder?
Celo: Klar, wir sind stolz auf unsere Landsleute. So viele Jungs gibt es schließlich nicht, die eine solche Karriere vorweisen können. Es gibt vielleicht sechs Millionen Bosnier auf der ganzen Welt, sodass wir uns für jeden Jungen freuen, der es geschafft hat. Dzeko rockt die Serie A, spielt bei einem Traditionsteam und trägt die Nummer 10.
Abdi: Trägt der nicht die 9?
Celo: Stimmt, sorry Bruder! (lacht) Totti trägt vermutlich noch als Rentner die 10, sitzt auf dem Sofa, schaut Sky Italia und denkt, dass er alle bei der Roma abziehen könnte.
SPOX: Welche Trikots könnt Ihr noch als kleine Geheimtipps empfehlen?
Abdi: Ich feiere das Auswärtstrikot von Al-Ahli aus Katar. Das hat so grünen Rauch an der Seite und ist eine geile Farbkombination. Das hat sicher kaum jemand. Damit kann man richtig Eindruck machen.
Celo: Das dritte Trikot der Roma in diesem Braunmetallic. Wer das trägt, hat Fußballsachverstand! (lacht)
SPOX: Euer neues Album "Diaspora" behandelt das Thema Migration, Ihr seid selbst Kinder von Einwanderern. Im Titelsong rappt Abdi: "Auf die Frage ob ich Deutscher bin, kann ich nur sagen, dass ich auf jeden Fall gerne in Deutschland bin." Würdet Ihr denn für Deutschland spielen?
Abdi: Auf jeden Fall.
Celo: Ich würde darüber nachdenken. Würde sich aber Bosnien melden, würde ich mich vermutlich für mein Heimatland entscheiden.
SPOX: Warum?
Abdi: Es geht dabei um Vertrauen. Es sind vor allem die Leute, denen man begegnet, die eine solche Entscheidung beeinflussen. Ich spreche dabei nicht nur von der Familie. Wenn du als Mesut Özil schon immer eine gute Beziehung zum DFB hattest und da Menschen arbeiten, denen du vertraust, warum solltest du dann nicht für Deutschland spielen? Das sind Leute, die dich gefördert haben und du willst diesen Leuten etwas zurückgeben. Schließlich waren sie mit der Grund dafür, dass du dich hier heimischer gefühlt hast. Das Ganze geht aber auch in die andere Richtung. Vielleicht willst du dem Heimatland deiner Eltern etwas zurückgeben und die Leute dort glücklich machen, indem du beispielsweise Marokko den Erfolg bringst, auf den die Leute dort schon so lange gewartet haben.
Celo: Natürlich gibt es auch taktische Überlegungen. Würde ich in Deutschland überhaupt regelmäßig spielen? Gibt es auf meiner Position vielleicht einen Spieler, der nochmal ein Tick besser ist? Grundsätzlich ist das eine ganz persönliche Entscheidung, die am Ende jeder zu akzeptieren hat.
SPOX: Man hört aber auch den Vorwurf, dass sich manche Spieler aus finanziellen Gründen entscheiden, da beispielsweise ein deutscher Spieler meist lukrativere Werbe- und Sponsorendeals bekommen kann.
Abdi: Ich will das nicht ausschließen, aber das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Gerade wenn du an diesem Punkt in deiner Karriere bist, ist das alles noch zu unsicher. Zu diesem Zeitpunkt schaue ich doch nicht auf das dicke Geld, das irgendwann kommen könnte. Wenn ich Pech habe, fühle ich mich dort nicht wohl und bringe keine Leistung. Dann ist das Geld schon weg, bevor es überhaupt da war.
SPOX: Mitsingen der Nationalhymne: Ja oder Nein?
Abdi: Das ist solch ein unnötiges Thema. Es gibt auch Deutsche ohne Migrationshintergrund, die nicht mitsingen. Wenn du mal ein paar Jahre zurückgehst, hat früher niemand die Hymne mitgesungen. Die Diskussion kam erst auf, als die ersten Jungs mit Migrationshintergrund für den DFB gespielt haben.
Celo: Wenn jemand wirklich ein fragwürdiges Verhältnis zu Deutschland hätte, würde er doch niemals das Trikot mit dem Adler anziehen. Da versuchen nur irgendwelche Leute unnötig Öl ins Feuer zu gießen.
SPOX: Habt Ihr eigentlich Kontakt zu Profifußballern?
Celo: Es gibt einige Kicker, die unsere Musik hören. Uns erreichen regelmäßig Nachrichten oder Videos. Ich als Bosnier habe speziell mit Ermin Bicakcic Kontakt. Besonders stolz waren wir, als das bosnische Nationalteam ein Foto gemacht und dabei unser Album 'Akupunktur' in die Kamera gehalten hat. Viele erfolgreiche Spieler sind echte Straßenkicker und kommen wie wir aus sozial schwächeren Gegenden. Das heißt, dass sie wie wir mit Rap aufgewachsen sind. Aymen Barkok von der Eintracht oder Emre Can kommen zum Beispiel aus der Nordweststadt mit denen unser Bruder Hanybal auch aufgewachsen ist.
Abdi: Wir hatten in unserem direkten Umfeld einige gute Kicker, aber geschafft haben es nur wenige. Disziplin ist nun mal das A und O, die geht in der Jugend gerne verloren. Bei vielen Migranten spielt auch das Temperament eine Rolle. Wenn du da einen deutschen Bürokraten als Trainer hast, hast du ein Problem. Ich kenne einige Geschichten, in denen gute Spieler mit ihren Trainern aneinandergeraten sind.
Celo: Deshalb brauchst du einen Trainer wie Jürgen Klopp, der hat vielen Kanaken eine Chance gegeben. (lacht) Das fing schon bei Mainz an und hat sich bei Can in Liverpool fortgesetzt. Klopp scheint ein lockerer Typ zu sein, weiß wie er mit speziellen Charakteren umgehen muss und seine Spieler zahlen ihm das Vertrauen mit Leistung zurück.
SPOX: Zum Schluss noch drei schnelle Fragen und drei schnelle Antworten: Was würdet Ihr gerne am Fußball ändern?
Abdi: Der Videobeweis ist ein unglaublich lästiges Thema. Die Fans sind genervt, die Schiedsrichter sind verunsichert, jedes Team fühlt sich an irgendeiner Stelle benachteiligt und die Diskussionen hören einfach nicht auf. Dabei sollte der Videobeweis genau da ansetzen, sodass sich endlich jeder fair behandelt fühlt.
Celo: Natürlich kann man sich über das viele Geld im Fußball beschweren, aber das ist eine Entwicklung, die einfach nicht mehr aufzuhalten ist.
SPOX: WM-Finale, große Bühne: Welchen legendären Fußballschuh tragt Ihr?
Celo: Puma King, ein absoluter Klassiker.
Abdi: Der weiße Adidas Predator mit der roten Zunge, den Giovane Elber immer getragen hat.
Celo: Ich korrigiere, der weiße Mizuno, den Rivaldo getragen hat - oder weiße Diadora.
SPOX: Eure Meinung zu FIFA 18?
Abdi: Ich find's gut, aber die Fernschüsse gehen viel zu oft rein.
Celo: Ich will mich hiermit offiziell beschweren. Es fehlen mal wieder so viele Nationalteams. Wenn ihr das Spiel schon FIFA nennt, sollte jeder Verband dabei sein. Das ist für mich ein absoluter Skandal, es ist kein einziges Jugo-Team dabei!